Journalisten im Web: Anna Serarda Campell, Moderatorin und Redaktorin bei RTR

Vom schnelllebigen Politkosmos in Bundesbern zu rätoromanischen Hintergrund-Reportagen. Anna Serarda Campell kennt den Umgang mit Social Media-Kanälen aus unterschiedlichen Medienumfeldern. Als Journalistin eines SRG-Medienhauses erlebt sie den multimedialen Umbruch und seine Auswirkungen. Während für die journalistische Arbeit Möglichkeiten entstanden sind, gibt es auch Grenzen – arbeitsethische, betriebliche und persönliche.
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Die Serie «Journalisten im Web» portraitiert Redaktorinnen und Redaktoren und ihren Alltag im Social Web im Rahmen einer qualitativen Studie von Bernet Relations und der ZHAW. Die Zusammenfassung und Auswertung der Studie erfolgte (bereits zum dritten Mal nach 2015 und 2017) im Herbst 2019. Der Hashtag zur Studie: #jstudie19.

Der erste Blick nach dem Aufstehen galt Twitter

«Frühmorgens war Twitter die erste App, die ich öffnete. Wer hat was geposted? Welche Diskussionen laufen unter Journalisten? Welcher Politiker hat sich neu mit einem Statement positioniert?». Eine typische Beschreibung aus dem Alltag von Anna Serarda Campell, als sie zwischen 2015 und 2018 noch für das rätoromanische Radio aus dem Bundeshaus berichtete. Twitter hat sich im Politikumfeld zum König unter den sozialen Medien gemausert. Als Debattierclub, Temperaturfühler oder – berüchtigt bei Donald J. Trump – für Agendasetting. «Twitter ist ein Buzz und manchmal ein Elfenbeinturm. Politische Provokationen gehören dazu, es geht um Aufmerksamkeit. Hier muss man schauen, dass Geschichten nicht heisser gegessen werden, als sie sind. Da ist für Medienschaffende natürlich viel Vorsicht geboten».

Von Bundesbern zu rätoromanischen Kontrasten

Seit 2018 ist Campell als Redaktorin und Moderatorin bei ‘Cuntrasts’. Ein Fernsehprogramm der Radiotelevisiun Svizra Rumantscha RTR, das aus der gesellschaftlichen Mitte des Graubündens berichtet. Twitter spielt hier keine grosse Rolle mehr. In den Fokus gerückt ist Facebook. Dort gibt es rätoromanische Communities, dort sind auch ältere Menschen – das klassische Fernsehpublikum – aktiv. RTR produziert multimedial – die Medienlandschaft ist im Umbruch. «Früher hat man eine Geschichte gemacht und sie anschliessend vielleicht noch geposted. Heute wird die Frage nach Online- und Social Media-Content von Anfang an gestellt». Dies hat den Arbeitsablauf verändert und intensiver gemacht. Mehr Content-Formen, mehr Reichweite, mehr Aufwand.

Für Campell ist Facebook indes nicht nur ein gutes Medium, um eigene Reportagen zu teilen. «Es hat sich als effizientes ‘Adressbuch’ für Personensuche herausgestellt. «Viele junge Vereinsaktive oder Kunstschaffende kontaktiere ich über ihren Facebook-Auftritt. Als Journalistin findet man die Leute und erhält schneller und offener Antwort, als bei formellen Anfragen».

Facebook ist Netzwerk und dient Campell auch als Inspirationsquelle bei Recherchen. So zum Beispiel, wenn sie eine rätoromanische Hebamme sucht, die im Zürcher Oberland Hausgeburten begleitet. Campell ist überrascht, wie bereitwillig Personen Auskunft geben und welche Resonanz man hat. Die journalistische Arbeit findet jedoch in weiteren Schritten statt – insbesondere im direkten Kontakt. «Ich wäre extrem vorsichtig, auf Facebook kolportierte ‚Geschichten‘ einfach so aufzunehmen».

Social Media als Grauzone

Multimedia- und Online-Redaktion arbeiten bei RTR im Redaktionsteam integriert. Geschichten werden formatgemäss aufgearbeitet. Redaktionsmitglieder teilen Content privat und bewegen sich auf ihren persönlichen Kanälen ohne Vorgaben des Senders. «Im besten Fall kann man sich als Medienschaffende etwas sichtbarer machen. «Generell sind wir relativ frei in unserer Meinungsäusserung». Dennoch,  Selbstregulierung im journalistischen Grundverständnis ist hier angebracht. Politische Ausserungen sind heikel, eine Parteimitgliedschaft wäre problematisch. «Wir sind auch angehalten, keine Parteipolitik zu bewerben. Wir müssen ja schliesslich eine gewisse Objektivität wahren».

Vor kurzem hat RTR mit einer internen Weiterbildung die Rolle der Medienschaffenden in der Öffentlichkeit aufgenommen. In Bezug auf Social Media eine Grauzone. Do’s and Don’ts wurden redaktionsintern thematisiert. «Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass man als freier Mensch eine Meinung haben darf. Aber ich lebe mein journalistisches Selbstverständnis, keine Propaganda zu betreiben».

Steckbrief

Anna Serarda Campell, 35
Journalistin seit: 2005
Auf Facebook seit: 2008
Auf Twitter seit: 2013

Weiterführend:

Alle Artikel über unsere Studie «Journalisten im Web»

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