Journalisten im Web: Moritz Kaufmann, Wirtschaftsredaktor NZZ am Sonntag

Für Moritz Kaufmann ist der Nutzen von Social Media für seine Arbeit vielfältig. Es ist aber nicht mehr so einfach wie früher, via Social Media an gute Geschichten aus Unternehmen zu gelangen.
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«Ich habe Twitter bei der Arbeit immer offen, wie Outlook. Erstens bin ich schnell informiert, oft schneller als die Schweizerische Depeschenagentur. Die müssen seriös überprüfen, bevor sie tickern.» Zweitens zeige der Fiebermesser Twitter, welche Themen bewegen. Drittens liefere Twitter Ideen für Geschichten. Hierfür eignen sich geteilte Blogs besonders. Die Leser der unzähligen Blogs liefern via Twitter eine erste Selektion. Viertens sei Twitter eine Fundgrube für Lustiges und nicht Alltägliches. «In jüngster Zeit habe ich so zwei Geschichten für unsere Kleinrubriken gefunden.» Und schliesslich bringt ihm Twitter immer wieder ausländische Lesestücke zu wichtigen Themen. Das fördert wertvolles Kontextwissen für künftige Artikel.

Kaufmann schaut, dass er nie mehr als 800 Personen folgt. «Sonst würde ich wohl die Übersicht verlieren. Ab 800 fange ich an auszumisten. Und wenn ich in der Timeline den Namen oder die Person hinter einem Tweet nicht kenne, habe ich das Gefühl, ich habe die Übersicht verloren.»

Facebook, Instagram bleiben neben Twitter relevant

Twitter ist für Kaufmann am wichtigsten, aber er könnte auf keine der anderen Social-Media-Plattformen verzichten. Es gäbe Leute die sagen, Facebook sei tot, man müsse mehr auf TikTok und Snapchat unterwegs sein. «Wirklich vorbei sind aber keine, abgesehen von Myspace und Secondlife.» Instagram findet Kaufmann interessant, um zu sehen, was die Leute, gerade Chefs, für ein Selbstbild haben. «Das nutze ich z.B. um mich auf ein Interview vorzubereiten. In der Regel sind eher jüngere CEO auf Instagram, z.B. Daniel Grieder, der Schweizer Chef von Tommy Hilfiger.»

Vorsichtigere Mitarbeitende

Die Schweizer seien zurückhaltend mit dem Posten von Informationen, Geheimnissen oder Meinungen über den eigenen Arbeitgeber, findet Kaufmann. Wenn man so etwas finde, seien das ziemliche Glückstreffer. «Es gibt beispielsweise viele SBB-Mitarbeitende die twittern. Gerade in relevanten Grossunternehmen ist man sich der starken Beachtung des Unternehmens bewusst und weiss, dass Posts früher oder später von Journalisten gefunden werden.» Vor drei, vier Jahren sei es noch interessanter gewesen, als jeder auf Social Media seine Meinung kundtat. Kaufmann: «Ich hatte gute Geschichten über Twitter. Jemand twitterte, dass der CEO der SBB ein Sabbatical nimmt. Das war dann mein Primeur. Das ist mir jetzt schon länger nicht mehr gelungen. Die Unternehmen haben wohl dazu gelernt.»

Kaufmann versuche noch immer, via Social Media an Mitarbeitende zu gelangen, und manchmal funktioniere dies auch. «Ich biete immer gleich an, on- oder off-the-record zu sprechen.» Üblicherweise seien die Leute misstrauisch, wenn ein Journalist sich an sie wende. Aber es gebe immer mitteilungsbedürftige Menschen. «Ein verärgerter Mitarbeiter ist noch keine Geschichte, aber er kann so verärgert sein, dass er ein Dokument sendet, oder Tipps gibt, wo man nachfragen kann.»

Gute Geschichten und Erklärstücke

Eine Geschichte geht dann viral, wenn sie gut ist, glaubt Kaufmann. Das sei weniger an Themen gebunden, sondern an die Geschichte. «Ich erinnere mich an eine Auswertung beim Blick zum grossen Interesse am Walliser Nationalrat Yannick Buttet, der wegen Nötigung verurteilt wurde. Die Person war dabei wenig relevant, sondern die Geschichte – das hätte irgendjemand sein können.» Erstaunlich gut funktionierten nüchtern geschriebene Erklärstücke zu einem Thema, das die Leute beschäftige und bei dem sie den Überblick verloren hätten. «Geistert ein Thema genug lang herum, entsteht das Bedürfnis nach Einordnung. Diesen Zeitpunkt zu treffen, ist nicht einfach. Wenn das aber gelingt – die Republik ist gut darin – dann dreht das auch in Social Media. Es gibt den Leuten das Gefühl, endlich zu verstehen worum es eigentlich geht.»

Harmloser Corporate Journalism

Geschichten aus Corporate Newsrooms empfindet er nicht als Konkurrenz, weil sie oft harmlos seien: Gute-Laune-Geschichten oder Kurioses, aber ohne News-Wert. Dies würde auch selten von Journalisten aufgegriffen. «Es ist oft langweiliger Corporate Journalism. Höchstens ein Versuch, die Unternehmens-Fanbase zu pflegen.» Der Medienblog der Post sei so ein Beispiel, SBB und die Verkehrsbetriebe Zürich VBZ  machten ähnliches. «Solange die Unternehmen nicht mehr Mut für richtige Geschichten haben, sehe ich darin zumindest für den Wirtschaftsjournalismus keine Konkurrenzgefahr. Ich frage mich auch, wie viele Leute ausserhalb dieser Unternehmen, sich Zeit nehmen, diese Dinge zu lesen.»

Steckbrief:

Alter: 33
Funktion: Wirtschaftsredaktor NZZ am Sonntag
Journalist seit: 2011, vorher Freelance Journalist und Praktikan
Social Media: privat kein Social Media, beruflich Twitter, Instagram, Linkedin

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