Was die Satzlänge über dich (und mich) aussagt

Die deutsche Sprache macht es uns einfach, Schachtelsätze zu bilden. Doch wer verständlich schreiben will, überlegt sich besser zweimal, wie lang ein Satz sein soll.
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Im letzten Jahrhundert suchten Forschende der Linguistik nach einer Formel, mit der man die Verständlichkeit von Texten berechnen kann. Die Satzlänge war immer ein Element dieser Formeln. Ich mag mich an meine Faszination erinnern, als ich mich im Studium mit dieser Mathematisierung von Sprache befasste. Wie verlockend wäre es doch, wenn man mit einer einfachen Formel die Verständlichkeit beurteilen – und verbessern – könnte. Aber erstens waren diese Verständlichkeitsformeln in den wissenschaftlichen Aufsätzen nie einfach, sondern füllten mehrere Seiten; und zweitens ist uns inzwischen allen klar, dass Verständlichkeit aus der Perspektive der Rezipient:innen bestimmt werden muss. 32 Wörter! Hast du den letzten Satz erfassen können? Oder ist das der Moment, wo du aus dem Text aussteigst?

Weniger Wörter, bessere Verständlichkeit

Sätze mit weniger Wörtern sind verständlicher. Als Faustregel kann man sich an 10 bis 16 Wörtern pro Satz orientieren. Beim Hohenheimer Verständlichkeitsindex wirken sich Sätze mit mehr als 20 Wörtern negativ aus. (Es gibt sie also noch, die Verständlichkeitsformeln).

Weshalb fällt es uns manchmal schwer, kurze Sätze zu schreiben? Weil unser Hirn weiterdreht, während wir schreiben. Es generiert immer neue Gedanken. Der Überschwang an Ideen während des kreativen Schreibprozesses macht Spass. Und die deutsche Sprache macht es uns leicht, Gedankenfetzen aneinander zu fügen oder sogar ineinander zu verschachteln. Hinzu kommt: die Scheu vor dem kurzen, klaren Satz. Er könnte zu banal wirken.

Fassen wir zusammen:

  • Kurze Sätze erhöhen die Verständlichkeit.
  • Das Gedankenkarussell während des Schreibens macht Spass. Aber spätestens bei der Textüberarbeitung muss Klarheit und Struktur her.
  • Über die Verständlichkeit von Texten entscheiden nicht nur Textmerkmale wie die Satzlänge oder Anzahl Fremdwörter, sondern auch die Rezipient:innen.

Gebrauchstext oder Literatur – das ist die Frage

Ist kürzer also immer besser? Nicht unbedingt. Wer es kann, die passende Textsorte wählt und das richtige Publikum hat, darf auch lange Sätze schreiben. Ein Paradebeispiel ist Dorothee Elmiger, die 2025 sowohl den Schweizer als auch den deutschen Buchpreis gewonnen hat. Ihr erster Satz in «Die Holländerinnen» schlägt meinen 32-Wörter-Satz um das Dreifache: «Man stellt sie vor als bedeutende Erzählerin, als eine der wichtigen Stimmen dieser Zeit, die mit ihrem frühen Zyklus Die Bestrafung der Mägde erstmals für Aufsehen gesorgt und sich spätestens mit dem Versroman Das ätherische Zelt endgültig etabliert habe, und als man ihr dann ein Zeichen gibt, tritt sie ans Pult, einen Stoß Papier in der Hand, eine kleine Frau, kleiner jedenfalls als erwartet, sie berührt das Mikrofon mit den Fingern ihrer Linken und bedankt sich für die Einladung, sie schätze sich sehr glücklich, sagt sie, heute und in den kommenden Wochen hier sprechen zu dürfen.»
Das ist Literatur. Kein Gebrauchstext. Das Online-Tool «Wortliga» macht daraus acht Sätze, um den Text auf ein gut verständliches B1-Niveau umzuschreiben. Verloren geht dabei der Duktus, das Gehetzte und später gar Abgründige des Romans.

Wer einen Roman mit 96 Wörtern im ersten Satz beginnt, hat Mut – und kann schreiben. Wer das in einer Medienmitteilung macht, ist übermütig – und liest diesen Beitrag vielleicht besser nochmals von vorne.

Weiterführend:

Foto von Sandy Millar auf Unsplash

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