Netzneutralität – n’existe pas

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SpinnennetzNeutrales Netz klingt nach Freiheit und Gleichheit. Weil die Netzneutralität von Technik, Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Recht abhängt, ist sie eher ein Prozess und ein Ideal, als ein dauerhafter Zustand.

Wikipedia erklärt den Begriff Netzneutralität so: «… eine Bezeichnung für die wertneutrale Datenübertragung im Internet. Sie bedeutet, dass Zugangsanbieter (englisch access provider) alle Datenpakete von und an ihre Kunden unverändert und gleichberechtigt übertragen, unabhängig davon, woher diese stammen oder welche Anwendungen die Pakete generiert haben.»

Das klingt einfach, aber die Punkte unten zeigen, dass neutral nicht automatisch gerecht ist. Es zeigt auch, dass ein «gutes» Internet eine Herkulesaufgabe ist. Je mehr wir darüber wissen, desto gezielter können wir uns dafür einsetzen.

Technik
Theoretisch sollte gleiches Recht für alle Datenpakete im Netz gelten. Aber spätestens wenn es bei der Internet-Telefonie die Stimmen verhackt, wünschen wir eine Bevorzugung unserer Stimm-Datenpakete auf den Datenbahnen. Dagegen kann das Laden eines Films oder eines E-Mails ein paar Sekunden warten. Technisch wäre vollständige Netzneutralität also nervig und sie besteht in der Tat nicht.

Unterschiedliche Qualität und Geschwindigkeit für verschiedene Anwendungen hat auch eine manipulative Seite: Theoretisch können Dienste, an denen der Betreiber verdient oder die er aus anderen Gründen fördern will, priorisiert werden.

Zur technischen Netzneutralität gehört auch die freie Wahl von Endgeräten wie Hotspots, Fernsehboxen oder Telefonen. Als Negativ-Beispiel: Seit ich privat mit der Cablecom telefoniere, funktioniert mein altes Tele2-Gerät nicht mehr.

Wirtschaft
Die Zunahme des Datenverkehrs verlangt nach immer besseren Netzen. Die Netzbetreiber wollen für den Ausbau der Kapazitäten belohnt sein. Zum Bezahlen gibt es zwei Ideen: Das Verursacherprinzip, also diejenigen, die grosse Datenmengen schaffen, wie Google, Facebook oder YouTube, zahlen an die Betreiber. Vielleicht auch mit der Möglichkeit, mehr zu zahlen für eine bessere Behandlung. Andererseits gibt es auch Kleine oder Innovatoren, die grosse Datenmengen schaffen. Könnten diese immer zahlen? Was wenn der bernetblog zahlen müsste …

Die andere Idee ist, dass die Nutzenden zahlen. Wer mehr Bandbreite will, zahlt mehr. Im Groben ist das bei den heutigen Fixanschlüssen so. Allerdings gibt es noch kein Abo, das den Nutzenden Priorisierung um eine bestimmte Tageszeit garantiert. (Wer also weniger Geld hat, könnte dann billig zwischen 03.00 und 05.00 Uhr surfen.) Bei den Mobilnetzen wird bereits überlegt, Klassen einzuführen. Im Äussersten schaffen solche Massnahmen eine Info-Klassengesellschaft. Nicht nur im Land, sondern auch global, wenn ärmere Länder sich den Zugang nicht leisten können.

Es geht aber nicht nur darum, wer zahlt. Wenn die Netzbetreiber nicht nur das Netz anbieten, sondern auch andere Leistungen, wollen sie ihre eigenen Angebote nicht konkurrieren. Beispielsweise ist es einleuchtend, dass die Swisscom sich nicht freut, Kapazitäten für Skype zur Verfügung zu stellen.

Ein weiterer wirtschaftlicher Aspekt der Netzneutralität ist der Wettbewerb zwischen den Providern. Für die Nutzenden ist die Auswahl eher klein. Allein der Standort – fix oder mobil – beschränkt meist die Auswahl. Es gibt Kreise, die Wettbewerb hier für unmöglich halten und deshalb fordern, das Netz als freies Gut bereitzustellen. Oder als Service Public, ähnlich wie Wasser in der Schweiz: günstig, in bester Qualität, überall und fast unbeschränkt.

Gesellschaft, Recht, Politik
Die oben beschriebenen wirtschaftlichen Aspekte haben Folgen: Wenn das Netz zu teuer ist, kann das bedeuten, dass Finanzschwache kaum noch Inhalte einbringen oder abrufen können.

Weiter gehört zur theoretischen Netzneutralität, dass alle Inhalte zugänglich sind. Vollständige Neutralität gilt dann auch für Kinderpornografie oder Plagiate. Sicher will unsere Gesellschaft beides nicht schützen. Aber wer definiert genau, was wir verbannen und was wir schützen? Die Regierung, die Religion oder das Recht? Und welche, wenn das Netz global ist?

Es wird unmöglich bleiben, die Netzneutralität vollständig mit Vorschriften zu regeln. Ein erster Schritt wäre eine Informationspflicht für Anbieter und Betreiber: Wie managen sie ihre Netze? Was priorisieren sie? Welche Inhalte oder Dienste schliessen sie aus welchen Gründen aus? Dann wäre das Netz vielleicht nicht neutral aber etwas transparenter.

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