Ist das Glas denn nun halb voll oder ist es halb leer? Ständig lächeln und optimistisch durch den Alltag gehen, das wird von uns verlangt. Aber ist es auch gesund?
Dale Carnegie sagte: «Sorge dich nicht, lebe!» Ob im Privaten oder im Geschäftsleben, überall wird Optimismus vorausgesetzt, mit Miesepetern will niemand etwas zu tun haben. Der deutsche Psychotherapeut Günter Scheich schreibt in seinem Buch, dass positives Denken auch negative Seiten hat.
Kritik am Eitelsonnenschein
Die moderne Hirnforschung beweist, dass wiederkehrende Denkmuster langfristige Auswirkungen auf die Gehirn-Aktivität haben. Das kann positiv sein, beispielsweise für einen Sportler, der sich mittels positivem Denken und Mental-Training aufbaut. Für labile oder depressive Menschen hingegen kann das zwanghaft eingebläute Glück zu Realitätsverlust führen. Versuche mit Menschen mit schlechtem Selbstvertrauen haben ergeben, dass deren Stimmung oder die Bereitschaft an Aktivitäten teilzunehmen alleine durch das Aufsagen positiver Sätze sich massiv verschlechterte. Psychologieprofessor Oswald Neuberger erklärt, dass wer versagt, dem wird suggeriert, dass er daran selber Schuld sei. Gesellschaft und Arbeitsumfeld sind freigesprochen. Und in Sätzen wie «Du musst positiv denken» schwingt immer der Vorwurf mit, es einfach nicht richtig versucht zu haben. Der Druck, der sich dadurch auf die einzelne Person aufbaut, ist enorm und hat den gegenteiligen Effekt: schlechte Gefühle.
Ist Trübsal blasen besser?
Mein Fazit: Wer glaubt, er müsse nun Trübsal blasen um sich besser zu fühlen, der täuscht sich. Negative Gefühle soll man aber zulassen, wenn sie einen befallen. Denn wer sich mit ihnen auseinander setzt, geht gestärkt aus einer Situation hervor. Ausserdem: Wer unterdrückt schon positive Gefühle? Eben.
Mein Buchtipp zum Thema:
The Antidote – Happiness for People Who Can’t Stand Positive Thinking
http://www.books.ch/detail/ISBN-9781847678645/Burkeman-Oliver/The-Antidote
Danke, Roger Hausmann, für den Buchtipp, bei meinem nächsten Buchladen-Besuch schaue ich mir das Werk genauer an!
Interessantes Thema – und interessante Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Ich glaube schon, dass man mit einer positiven Lebenseinstellung viel bewirken kann, ABER: Es ist wahnsinnig schwierig, sich immer und immer wieder zum Positivdenken zu motivieren, wenn man im Inneren ein ganz anderes Gefühl hat. Optimismus hat man, oder man hat ihn nicht. Man kann ihn sich nicht angewöhnen.
Ähnliches gilt fürs Loslassen (Vergangenheit, negative Gefühle und Erinnerungen usw.). Es sagt sich so leicht, aber loslassen kann man etwas erst, wenn man seinen Frieden damit gemacht hat. Oder mit anderen Worten: Man muss es erst annehmen, bevor man es loslassen kann. Da hilft alles positive Denken nichts.
«Du musst» ist übrigens der gänzlich falsche Ansatz, weil wir unbewusst sofort mit Widerstand reagieren, wenn uns gesagt wird (oder wir uns selbst sagen), wir müssten. «Müssen» bringt immer einen Zwang mit sich.
Positives Denken ist sicher ganz nützlich. Meiner Meinung nach gelingt es aber nur denen wirklich, die es gar nicht nötig haben, weil sie dem Leben grundsätzlich positiv gegenüber stehen. Allen, denen es schwer fällt, das Leben zu umarmen, würde ich empfehlen, der Sache auf den Grund zu gehen, sofern sie etwas daran ändern wollen. Die Verantwortung dafür, wie es ihm geht und was er aus seinem Leben macht, trägt tatsächlich jeder Mensch selbst. Und ich meine wirklich: JEDER Mensch.
Danke, Claudia Fahlbusch, für die Ergänzungen. Solange man die Situation, das Leben, das Schicksal nicht so annimmt, wie es ist, hadert man damit!
Positives Denken ist eine gute Sache. Zwang ist zu vermeiden, weil er nur kränker macht. Der Abschnitt hier im Blog „Für labile oder … verschlechterte“ finde ich problematisch, weil es hierzu viele Beispiele gibt, die das Gegenteil beweisen.
Wer sich nicht selber aufrichten kann ich keinesfalls selber Schuld. Er weiss einfach noch nicht wie das funktioniert.
Sobald wir das aber gelernt haben, sitzen wir auf den Schultern eines Riesens. Und müssen ihm nur noch ins Ohr flüstern.
Vielen Dank, Fatima Vidal, für den Beitrag. Menschen, die sich in einer Krise befinden, sind keineswegs daran nur selber Schuld. Sie können aber Druck von aussen verspüren, wenn ihnen ständig gesagt wird, dass sie die positiven Seiten betrachten sollen. Diesen negativen Aspekt des positiven Denkes wollte ich ansprechen.
Martina Hirschi, da bin ich gleicher Meinung.
Denke positiv dürfte für die meisten Menschen nur ein gutgemeinter Spruch sein.
Erst wer sich mit den Themen Bewusstsein und Unterbewusstsein befasst, wird die Bedeutung und den Hintergrund dieser Aussage wirklich verstehen.