Hurra, der Advent ist da: Der Dezember setzt den Jahresend-Turbo auf unseren schnellen Alltag. Von Mitte Juli bis Mitte November habe ich in einem Timeout genau das Gegenteil gelebt: Entschleunigung. In dieser Zeit habe ich einiges gesehen und gelernt – nicht mehr und nicht weniger als im Alltag. Sondern anders, mit anderem Blickwinkel, einer verschobenen Optik. Dieser Anstoss bringt diesen Blickwinkel in Ihren Alltag, er
- schlägt Brücken zwischen Rasen und Rasten
- öffnet die Augen für Zwischenräume
- lädt ein zum Ankommen
Der Sprung von Speed zu Sammlung
Stellen Sie sich vor, sie stehen auf einem Karussell, genau in der Mitte: Sie geniessen die 360°-Gesamtsicht. Hier ist die Drehung angenehm gemütlich. Jetzt gehen Sie zum Rand hinaus: Die Umgebung rast an Ihnen vorbei, jetzt zählt nur noch draufbleiben.
Der Durchmesser dieser Drehscheibe ist in den letzten Jahren massiv gewachsen und damit auch die Geschwindigkeit am äussersten Rand. Das ist keine Klage: Es ist einfach so. Wer in der globalisierten, vernetzten Welt mitspielt, der will es auch dort draussen aushalten, wo das Neue entsteht.
Und trotzdem: Wer nur noch mitdreht, produziert schon bald mehr Leerlauf. Weil die Übersicht fehlt. Den Spagat zwischen Strategie und Strampeln erleichtern Sie mit
- verbindlichen, konkreten Zielsetzungen für die Gesamtorganisation
- steter Kommunikation dieser Ziele auf allen Ebenen
- Pausen, in denen Ziele und Strategien gemeinsam überprüft werden
Stimmt, dazu haben Sie gar keine Zeit, es ist mühsam und theoretisch. Also ganz praktisch: Wie wärs, wenn Sie wieder mal das Ende eines Projekts feiern würden? Mit einem Essen, einem Geschenk, einem Kinobesuch? Vor lauter Aufbrüchen und Visionen haben wir ganz vergessen, Dinge abzuschliessen, samt Dankeschön.
Sich Zwischenräume holen
Je hektischer wir sind, desto mehr sehnen wir uns nach Ruhe. Und gleichzeitig weichen wir dieser Ruhe genau so hektisch wieder aus: Jetzt noch schnell das, dann dies, bloss nicht still sitzen.
Meine Empfehlung in diesen Situationen: Nichts tun. Wo Sie gerade sind. Zwei Atemzüge. So lange, wie Sie gerade können. Es gibt kein Minimum. Auch im Stehen, im Lift, auf dem Weg zum Lunch. Nichts tun heisst: Einfach sein. Jetzt. Vielleicht hilft es, wenn Sie langsamer atmen, sich auf die Pausen zwischen Ein- und Ausatmen konzentrieren. Vielleicht entdecken Sie einen Raum in sich, wo mitten im Orkan die Ruhe liegt. Wo Sie wissen, dass alles gut ist, genau so, wie es jetzt ist. Wo Sie hektisch, gestresst, nicht perfekt, frustriert sein dürfen.
Entdecken Sie noch ganz andere Ideen, probieren Sie einfach das aus, was Ihnen gerade einfällt. Es gibt keine einzig richtige Technik.
Was tun Sie in solchen Situationen? Geben Sie mir Ihre Tipps hier weiter und wir bauen sie in den nächsten Anstoss ein.
Wer ankommt, kommt weiter
Nichts tun? Das ist wohl das Schwierigste, was ich je zu lernen versuchte. Eine Fährte legte auch mein Timeout: Vier Monate Auszeit zeigen, wie wertvoll der Alltag ist – mit seiner Hektik. Die Versuchung ist gross, sich schnell in Ungeduld, sofort, alles-auf-einmal zu stürzen. Auch diese Unruhe gehört zur Erfahrung. Erst mein eigenes Urteil macht daraus einen Fehler. Und dadurch vergrössert sich der innere Druck, die Unzufriedenheit wächst, und ich werde einfach noch härter versuchen, anders zu werden.
«Wer ankommt ist tot.» warnte Gertrud Höhler in einem ihrer ersten Management-Bücher. Mein persönliches Fazit aus vier Monaten Auszeit: Lasst uns zuerst ankommen. Bei uns selbst – nicht bei irgendeiner Theorie oder einem Management-Guru. Keine Angst: Deshalb bleibt nichts stehen. Das ist kein Plädoyer fürs blosse Faulenzen. Nichts tun, wie ich es verstehe, verbindet viel tun mit einem inneren Anker der Gelassenheit. Erst jetzt geschieht jeder Lernschritt, jede Veränderung nicht aus Angst oder Selbstkritik. Sondern aus einer lebendigen Offenheit.
Bleiben Sie, wie Sie sind! Ohne stehen zu bleiben. Mit dieser inneren Zufriedenheit werden Sie viel weiter kommen als bisher. Mit einem neugierigen Lächeln im Gesicht.
Marcel Bernet
«Wenn Sie sich vom Wahn befreien, immer alles gleich verbessern zu wollen, könnte es sein, dass Ihre eigene Natur anfängt, sich um sich selbst zu kümmern.»
Alan Watts
Buchlinks:
Weisheit des ungesicherten Lebens, Alan W. Watts: 1951 in den USA publiziert als zeitlose Annäherung an östliche Philosophien, verständlich formuliert für Westler.
Nichts tun, Steven Harrison: Kurz und bündig zeigt der amerikanische Autor auf, dass wir erst finden, wenn wir nichts mehr suchen. Siehe auch www.doingnothing.com.
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Anstoss 9/Dezember 2003