Leserperspektive: Das gute Interview

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Kürzlich habe ich ein gutes Interview gelesen. Was heisst gut? Ich habe mir genauer angesehen, was ein Interview spannend macht zum Lesen und mich selbst zum Denken anregt.

Im besten Fall veranlasst mich ein Artikel oder Interview zu einer Handlung. Dieses überzeugte mich ins Kino zu gehen: Das Interview von Benedict Neff mit Christoph Blocher. Thema war der Film «L’Expérience Blocher» von Jean-Stéphane Bron. Was das Interview aus meiner Perspektive als Leser gut macht, sind diese fünf Punkte:

  • Vorbereiten: Ist der Interviewer mit dem Thema vertraut, kann er Themen vertiefen und gezielt nachfragen. Er kann mit Feststellungen arbeiten, indem er diese kommentarlos in den Raum stellt und so eine Reaktion fordert, zum Beispiel «Der Film zeigt Sie als einsamen Denker». Der Interviewer kann zudem auf inhaltliche Einzelheiten wie Blochers Abneigung gegen die Dämmerung eingehen.
  • Meinung und Wirkung erfragen: Drei Meinungsfragen zum Einstieg machen das Interview direkt und geben inhaltliches Gewicht. Die Frage nach der Wirkung von Ereignissen zeigt persönliche Erfahrungen. Der Interviewer bringt sich dezent ein mit seiner eigenen Befindlichkeit und gibt so eine persönlich Note. Mit der Wendung «Es hat mich überrascht» in einer Frage fordert er dazu auf, Stellung zu beziehen.
  • Verknüpfen: Geht der Interviewer auf Antworten ein, kann der Leser dem Verlauf besser folgen und entdeckt im besten Fall sein eigenes Fragezeichen in der Folgefrage. Der Interviewte bietet mit seinen Antworten Anknüpfungspunkte. Beispielsweise spricht Blocher im erwähnten Interview davon, dass der Regisseur kleinen Erlebnissen aus der Kindheit viel Bedeutung zuschrieb. Das gibt mir Information über die Machart des Films, macht mich aber auch neugierig, welche Erlebnisse das waren. Genau dies fragt der Interviewer nach. Das Interview dreht sich zudem nicht rein um den Film, sondern erzählt noch mehr zur Person an sich. Der Film dient als Anknüpfungspunkt für weitere Fragen, wie diejenige zum Personenschutz.
  • Benennen und werten: Eine Tatsache zu nehmen und diese in der Frage zu werten, fordert den Interviewten heraus. In einer Frage geschieht dies mit «War das ein persönliches Drama, (…)?. Die Wertung in der Frage hat eine andere Wirkung als ein allgemeines «Wie war das für Sie?». Der Interviewte muss bei einer Wertung relativieren oder bestätigen und hilft dem Leser, das Ereignis einzuordnen.
  • Sprechen lassen: Der Interviewer nimmt sich persönlich zurück und geht auf das Thema und sein Gegenüber ein. Er führt das Interview, ohne zu stark zu leiten. Das Interview liest sich wie gesprochen. So fühle ich mich involviert. Das Tempo von Frage und Antwort ist schnell, es wirkt direkt und spontan. Das würde für mich auch die einzig schwache Frage entschuldigen: Wieso. Diese greift so weit, dass der Interviewte nach der ersten Überforderung, was gefragt ist, beliebig antworten kann.

Aufgabe erfüllt
Diese fünf Punkte haben für mich das Interview zum spannenden Lesestoff gemacht. Ich habe mehr erfahren und wurde zum nachdenken angeregt. Sicherlich auch, weil ich von den Antworten eher überrascht war. Die guten Fragen haben für mich interessante Antworten hervorgebracht. Dadurch habe ich das Interview zu Ende gelesen und mir den Film angeschaut – was ich sonst wohl nicht gemacht hätte, weil ich mir zu Inhalt und Machart zuwenig darunter vorstellen konnte.

Weiterführende Links
– Bernetblog Beitrag «Besser Schreiben – vier Schritte zum Ziel» 
– Interview «Ich liess mich noch nie psychologisch untersuchen» von Benedict Neff mit Christoph Blocher zum Film «L’Expérience Blocher» erschienen in der Basler Zeitung und gelesen im Tages-Anzeiger
-Lernen wie man erfolgreich fragt mit Peer Teuwsen und seinem Buch «Das gute Gespräch»

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