Medien: Ratlosigkeit auf der Kommandobrücke

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DK_Bild_03Am Dienstag trafen sich die Kapitäne der Schweizer Medientanker zu ihrer jährlichen Dreikönigstagung. Den König hatte zum erstenmal niemand im traditionellen Kuchen gefunden. Die Kronen im Kampf um die Lesergunst werden von neuen Mitspielern verteilt.

Die Ratlosigkeit auf den Kommandobrücken der etablierten Informations-Tanker ist verständlich: Niemand weiss, wie die neuen Geschäftsmodelle für Produktion und Verkauf von Inhalten aussehen. Und wie NYU-Professor Clay Shirky in «Thinking the Unthinkable» sagte: Wer mitten in grossen Umbrüchen behauptet, er wisse, wie es weiter geht – der lügt. Hier meine wichtigsten Eindrücke vom Treffen auf der Kommandobrücke:

Romanus Otte, Chef Welt Online: Reichweite dank Integration

2006 hat sich die Welt-Gruppe in den Newsroom aufgemacht – zur Integration von Welt, Welt am Sonntag, Welt Kompakt, Welt Online und Berliner Morgenpost Print und Online. «Die Reichweite haben wir massiv ausgebaut – am Umbau der Abläufe und der Denkkultur arbeiten wir noch.» Otte sieht den integrierten Newsroom ganz pragmatisch als besten Weg, knappe Ressourcen produktiver einzusetzen. Um sicher zu stellen, dass die verschiedenen bedienten Blätter nicht alle Themen gleich behandeln, gibt es im Pool getrennte Chefredaktoren, Stellvertreter und Blattmacher. Die können in der Matrix-Organisation eigene Akzente setzen.

…Google und Apple greifen nach den Kunden
Welt und Morgenpost haben gerade Schlagzeilen gemacht mit der Einführung von Bezahlschranken. Otte will Erfahrungen sammeln, «in den Etats für 2010 sind noch keine fixen Einnahmen budgetiert». Reichweite sei die Vorausseztung für Monetarisierung. Aber es fehlt an Verrechnungs-Systemen, an gescheiten CRM-Datenbanken, an einer Verbindung von Print-Kundendaten mit Online-Kundendaten. Auf den springenden Punkt kommt der agile und undogmatische Manager mit dieser Aussage: «Google und Apple versuchen, den Verlegern die Kundenbeziehung abspenstig zu machen. Und das ist die grosse Gefahr für die Verleger.»

Definitiv. Entscheidend für den Verkauf von Inhalten werden die Endgeräte und die damit verbundenen Inhalte-Aggregations und -Bezahlsysteme. Systeme, die über nationale und Verlagsgrenzen hinaus funktionieren. Werden Verleger so etwas hinkriegen?

Frédéric Filloux, Redaktor & Blogger: Das Ende der Konkurrenz
Der frühere Chefredaktor von Libération arbeitet heute für Schibsted und teilt wöchentlich seine Medien-Analysen auf «Monday Note». In einem Schnellvortrag postuliert er radikales Umarmen – denn die Zeit der geschützten Märkte sei zu Ende. «Der Wettbewerb unter Verlagen darf nur in den Redaktionsräumen geführt werden. Für alle industriellen Bereiche wie Produktion und Vertrieb müssen sie zusammen arbeiten. Es braucht einen gemeinsamen Ansatz um mit Google zu verhandeln und mit der ganzen Werbebranche.» Seine Präsentation enthielt drastische Zahlen zur Dokumentation der aktuellen Situation.

Der durchschnittliche Online-Besucher verbringt gerade mal 15 Minuten pro Monat bei Le Monde und schaut sich dort 19 Seiten an. Im Gegensatz zum französischen Facebook-Durchschnitt von 2 Stunden und 400 Seiten pro Monat. Soviel zum Thema Attraktivität des klassischen News-Konsums. Ebenso schockierend war ein Vergleich der durchschnittlichen Werbe-Einnahmen pro Leser: Ein Online-Leser bringt im Schnitt 16 mal weniger Ertrag als ein Print-Leser.

Ebenso aufschlussreich war Filloux‘ Kategorisierung von News: Es gibt aus seiner Sicht Standard-News, Gemeinschaftsklatsch und Qualitätsnischen. Für Standard-News muss man keine Zeitungen mehr drucken, die gibts schneller und gratis auf Twitter oder sonstwo. Gemeinschaftsklatsch entsteht in sozialen Netzwerken, er lebt nicht von Genauigkeit und Tiefgang sondern durch die zumindest projizierte Nähe unter den Absendern. Qualitätsjournalismus rettet sich in die Qualitätsnischen, wo sich wohl auch Print weiter halten wird.

Andreas Schönenberger, CEO Google Schweiz: 1 Milliarde für Verleger
Die Kapitäne haben den Piraten zur Sitzung eingeladen – der mittlerweile auf dem grösseren und erfolgreicheren Tanker sitzt. Hier zeigte sich die Schwäche der Veranstaltung am stärksten: Es gab keinen Dialog zwischen Publikum und (den viel zu zahlreichen) Referenten. Gerne hätte man mehr erfahren über das auch von Schönenberger skizzierte Interesse an einer vertieften Zusammenarbeit mit den Verlegern. In seinen Ausführungen sprach er davon, dass 2009 eine Milliarde US Dollar von Google an Verleger ging – verglichen mit einem zu erwartenden Gesamtumsatz für 2009 von rund 23 Milliarden USD. Dazu erwähnte Schönenberger eine Milliarde Clicks für Verleger/Newslieferanten aus GoogleNews und drei Milliarden aus GoogleSearch.

…ein Gerät das mich kennt
30 Prozent des Medienkonsums erfolgen heute Online. Vor diesem Hintergrund skizzierte Schönenberger seine Vision intelligenter Endgeräte – am gleichen Abend wurde das erste Google-Phone vorgestellt: «2015 habe ich ein mobiles Gerät. Damit sehe ich Bilder, Videos, alles gestochen scharf und schnell geladen. Das Gerät kennt mich, meine Vorlieben und es weiss, was ich schon gelesen habe. Es schlägt mir Artikel vor, ich bewerte seine Vorschläge und mache damit die Informationsauswahl immer besser. Wenn es um die Bezahlung der Inhalte geht, dann könnte es so sein, dass ein Grundbedarf durch ein Monatsabo bezahlt wird. Darüber hinaus gehende Abrufe werden auf meinem Konto belastet, andere Inhalte könnten durch Werbung finanziert sein.»

Google kann so etwas global lancieren, Verleger wohl höchstens in nationalen Verbänden. Doch die werden wichtig sein, wenn Amazon, Apple, Google oder andere Geräte- und Plattform-Pioniere sich die Verlagsrosinen als Partner sichern wollen.

…mindestens fünf harte Jahre – und gute Fragen
Schönenberger glaubt, dass es noch mindestens fünf Jahre dauert, bis neue Medien-Geschäftsmodelle erfolgreich etabliert sind. «Deshalb ist es für Google sehr wichtig, gemeinsam Leserschaften an der Stange zu halten und damit Einnahmen zu generieren.» Diese fünf Jahre des Übergangs werden sehr schmerzhaft sein. Und es gebe nicht eine einzige richtige Antwort, sondern eine ganze Menge von Fragen: Wie werden News gezeigt? Auf welchen Plattformen? Zu welchem Preis? Wie sieht die Nachfrage nach lokalen versus regionalen und nationalen Inhalten aus? Google sieht einen sehr grossen Anteil von lokalen Suchanfragen. Welche mobilen Plattformen werden sich durchsetzen? Wo öffnen sich Optionen für massgeschneiderte Inhalte?

Womit wir wieder beim Einstieg wären. Es geht um das Stellen der richtigen Fragen. Wer heute antwortet, der lügt. Dass sich einige Schweizer Verleger auch mal Fragen gemeinsam stellen, zeigt die angekündigte Kooperation mit Swisscom für ein E-Readerformat. Wenn unternehmerische Marktgrenzen abbröckeln, verbündet man sich national. Bis auch diese wegbrechen.

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