Spezialisten aus Hirnforschung, Psychologie, Soziologie, Wirtschaft und Spiritualität diskutierten dieses Wochenende Egoismus, Gemeinsinn, persönliche und wirtschaftliche Entwicklung. Vom Besuch nehme ich einen Anstoss zu mehr Übung mit.
Von Freitag bis Sonntag hat der Dalai Lama in Zürich die Konferenz «Altruismus und Mitgefühl in Wirtschaftssystemen» besucht. Durchgeführt wird sie zum zwanzigsten Mal vom Mind and Life Institute, das er mitgegründet hat.
Religionsoberhaupt, Inspiration, Leichtigkeit
Wenn «seine Heiligkeit» den Raum betritt, wird der Saal des Kongresshauses still. Ich sehe im Dalai Lama eine inspirierende Verbindung von religiöser Führungsperson, wachem und offenen Geist mit einer kindlichen Leichtigkeit. Diese drückt sich schon in der Einleitung aus, begleitet von vielen Lachern: Von Geld und Wirtschaft habe er keine Ahnung, aber vom Geist. Und wenn wir zufrieden seien durch Geld, dann beginne das ja immer im Geist, in den Gefühlen. Deshalb könne man Geld und Geist nicht trennen – im Original:
Gemeinsinn beginnt beim Ich
Der Sozialpsychologe Daniel Batson, die Hirnforscherin Tanja Singer und der Psychologe Richard Davidson zeigen am Freitagmorgen auf, dass wir nicht nur vom Egoismus getrieben sind. Gemeinsinn ist in uns angelegt, wird auch unbewusst ausgelöst, hat aber je nach Situation verschiedene selbst-bezogene Barrieren zu überwinden. Gemeinsinn kann man trainieren – wobei rein kognitives Training (nach dem Motto: lerne, dass es gut ist, liebevoll zu sein) gar nichts nützt. Wogegen täglich dreissig Minuten Meditation auch bei völligen Anfängern schon nach zwei Wochen eine messbare Verstärkung von gemeinnütziger Motivation und Handlung erreichen.
Das Loslassen üben
«Selbstzentriertes Streben nach Glück ist völlig in Ordnung,» beginnt der Dalai Lama eine Diskussion. «Das Ich ist immer präsent, in allen. In Buddha. In mir. Um Gemeinsinn zu üben, brauchen wir ein starkes Gefühl von Selbst, Selbstvertrauen, Stärke.» Das Ich habe viele Ebenen. Aus Selbstvertrauen und Stärke könne Zuneigung wachsen, aber auch Hass. Deshalb liege der Schlüssel darin, sich immer wieder zu lösen. Wegzukommen von Ablehnung und Anhaftung, Widerstand und Festhalten. Das brauche Übung. Genauso wie Klavier spielen. «Es kann nicht sein, das Gemeinsinn und Mitgefühl einfach so vorhanden sind, immer, verfügbar – im Gegensatz zu anderen Talenten, die wir erst durch Lernen und tägliches Üben zur vollen Blüte bringen.»
Loslassen üben – leicht gesagt. Aber wenn ich meine Ungeduld mit mir selbst und anderen betrachte, wird mir sofort klar, woran ich arbeiten will.