Harte Zeiten für US-Zeitungen – neues Leserverhalten?

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Ende März hat die Newspaper Association of America die neueste Werbestatistik publiziert – die Zahlen der Zeitungsverleger sind drastisch: Print erleidet einen Rückgang um rekordhohe 9.4 Prozent, das Online-Wachstum verlangsamt sich.

Das Wall Street Journal spricht vom «grössten Rückgang seit mindestens 1950» und sieht eine generelle Verschärfung der Zeitungskrise. Und die ersten Zahlen aus 2008 zeigen, dass sich die Abwärtsspirale weiter dreht: Die New York Times zum Beispiel meldete im Februar ein Minus von 6.6 Prozent und auch andere grosse Titel sprechen von «beschleunigten Rückgängen» im Anzeigenbereich. Hier der ganze WSJ-Artikel und die Excel-Tabelle der Newspaper-Association zum Download.

Internet oder Rezession?
Was steckt hinter dieser Entwicklung? Ein starkes Indiz für neues Leseverhalten ist der Rückgang der Rubrikeninserate. Sie machen einen Drittel des gesamten Print-Umsatzes aus und sacken um ganze 17 Prozent ab. Auf der anderen Seite ist der Rückgang der Werbeinvestitionen in Zeitungen wohl eher auf ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Zeitungen zurückzuführen. Interessant sind die Veränderungen der Volumina – denn die Prozent-Veränderungen ereignen sich auf sehr unterschiedlichen Grössenordnungen, wie diese Grafik zeigt:

zeitungsinserate online und print entwicklung usa

Die Online-Werbeeinnahmen der Zeitungen werden erst seit 2003 veröffentlicht, hier sind die Veränderungen pro Jahr dargestellt. Der Print-Einbruch im letzten Jahr ist drastisch – bei einem Gesamtvolumen von 45.4 Mia USD. Wohin sind die fehlenden vier Milliarden gewandert?

Leider habe ich keine Volumendaten für den Gesamtmarkt gefunden. Einzig bei Nielsen ist eine Gesamtsicht des amerikanischen Markts erhältlich, über die Statistik der Zeitungsverleger hinaus. Der grosse Nachteil: Es sind nur Prozent-Veränderungen erhältlich, unten die Grafik aus dem Nielsen US Advertising Report 2007.

nielsen advertising report 2007
Die gesamten US Werbeausgaben scheinen um 0.6 Prozent gewachsen zu sein. Das lässt den Schluss zu, dass die aus dem Zeitungsbereich abgeflossenen 4 Milliarden bei den Umsatz-Gewinnern eingeflossen sind. Und dazu zählen auch die nationalen Print-Magazine.

Harte Zeiten für die US-Zeitungen. Da scheint die Sonne bei uns in der Schweiz ja noch richtig – wenigstens bis 2006, die 07er Werte sind noch ausstehend: Werbeaufwand Schweiz.

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Beiträge

  • Ich denke, dass fehlendes Vertrauen der Leser in die Qualität der Print-Werke ein wichtiger Faktor für den Rückgang ist. Warum soll man für etwas zahlen, dass man auch schnell und umsonst konsumieren kann? Sollte der Inhalt schlecht recherchiert und lau sein, habe ich wenigstens nichts dafür bezahlt.

    Zweitens stellt sich die grundsätzliche Frage nach dem Inhaltsunterschied zwischen den immer noch gutgehenden Print-Medien und den Online-Inhalten. Meine Vermutung: Print wird es in Zukunft vor allem bei Medien mit geringerer Frequenz geben: Wochenzeitungen, Spezial-Magazine etc. Es wird immer einen Markt für detailliertere Informationen geben, und der wird auch künftig von Print bedient. Es lässt sich leichter lesen.

    Drittens muss eine stärkere Kundenbindung seitens der Print-Medien erfolgen. Ich kaufe vor allem etwas, dem ich mich auch emotional verbunden fühle. Daraus folgt die Notwendigkeit der Unverwechselbarkeit und der positiven Identifikation mit der Marke. Eine schwere, aber nicht unlösbare Aufgabe.

    Gruß,
    mv

  • hallo markus
    lass mich zwei widersprüche aufzeigen, die mir persönlich einfallen bei deiner argumentation:
    vertrauen vs gratis: ich denke, dass das vertrauen in printmedien generell höher ist als das in online medien. so generell. nicht das mangelnde vertrauen führt zu print-leser-rückgang, sondern die gratis verfügbaren online inhalte – die 24h/7Tage aktuell sind, jederzeit abrufbar, selektierbar, suchbar.
    deine zweite these unterstütze ich – das zeigen auch die magazine und sonntagszeitungen, die in den usa gewinnen (wobei die statistik nur die werbeausgaben zeigt, die dürften mit den leserzahlen korellieren). aber: detaillierter inhalt = print? na, ich weiss nicht. online wird der inhalt in zukunft noch wesentlich detaillierter werden, besser verlinkt, mit viel besseren archivinhalten als im print. meine these: dort, wo ich in ruhe, vertieft, mit höherem engagement lese, dort gewinnt print. wo ich schnell, hektisch, selektiv was zusammensuche – dort gewinnt online.
    kundenbindung schliesslich ist das a und o. und die hat eben auch damit zu tun, dass ich den kunden immer genau das liefere, was sie wollen – auf dem kanal, den sie situativ bevorzugen. da liegt die herausforderung.
    herzlich zurück grüsst
    marcel