Der Service publique – eine Idée Suisse

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Welchen Stellenwert hat das öffentlich-rechtliche Radio/TV in  der Schweiz? Was hat das Web damit zu tun und wie wird sich die Medienlandschaft entwickeln? SRG-Generaldirektor Roger de Weck sprach gestern an der Generalversammlung von prsuisse.

De Weck löste die schwierige Aufgabe bravourös, ein Publikum wieder zu wecken, welches an der Jahresversammlung des PR-Dachverbandes prsuisse vom GV-Ritual und der drückenden Hitze im Zunfthaus zur Waage sichtlich gezeichnet war. Er tat dies mit Verve, Witz und Kompetenz. Und bot einen gescheiten Über- und Ausblick auf die Strategien der Schweizer Gebührenmedien.

Segeln im Sturm – «Low Visibility» und «Strategie»
Seit Januar ist de Weck SRG-Generaldirektor und führt damit das grösste Schweizer Medienhaus mit einem Umsatz von über 1,5 Milliarden Franken (Vergleich Ringier: 825 Millionen, Quellen: Unternehmens-Webseiten). Die Zukunftssichten sind nebulös – rasant entwickeln sich Technologien, Anbieter werden gehypet, gekauft oder «gemerged». De Weck dazu: «Kein Medienhaus, ob Medienkonzern oder Regionalblatt, weiss wo es in fünf Jahren stehen wird.» Wie lassen sich unter diesen Bedingungen Strategien entwickeln? Heute funktioniert die SRG noch stark über die etablierten landessprachlichen TV- und Radio-Kanäle als «Haupteingangstor» (Zitat de Weck) für die Konsument/innen. Doch immer mehr Publikum strömt durch das «Seitentor» Web. Während sich die Kanäle über Programme und Inhalte profilieren, zählt im Web die Attraktivität des Gesamtportals – und das Zusammenspiel von Content, Usability, Austausch und Vernetzung. Haupt- und Seitentor will de Weck für die SRG öffnen und pflegen – den Fokus aber deutlich auf eigenständigen und qualitativ einwandfreien Inhalt richten.

Zusammenarbeit statt Konkurrenz
Die kommerziellen Anbieter sind bei den Printkanälen mit negativen Zahlen konfrontiert. Sie wenden sich darum immer mehr audiovisuellen Inhalten zu, bauen aufwändige Webportale und ärgern sich dort über die Konkurrenz des gebührenfinanzierten Mitbewerbers. Dieser darf heute im Web noch keine Werbung anbieten. Gehen wir aber von einer verstärkten Verschiebung der Werbegeldern ins Web aus, wird auch die SRG ihr Programm, so de Weck, in 10 bis 15 Jahren nicht mehr in der heutigen Qualität produzieren können. Bereits heute deckt sie einen Viertel ihrer Kosten mit TV-Werbung. Gibt es eine Lösung? De Weck sieht die Kernkompetenz der SRG nicht beim «Schreiben», sondern in der unvergleichlich professionellen und effizienten Produktion von audiovisuellen Inhalten. Von diesem Know-how und der Infrastruktur könnten Private profitieren und von der SRG als Content-Lieferantin profitieren.

Die vierfaltige «Idée Suisse»
Die eigentliche Existenzgrundlage eines grossen, gebührenfinanzierten Anbieters erklärte de Weck in vier Schritten:

1. Zusammenhalt (Kohäsion)
Vier Landessprachen (D 64%, F 20%, I 7%, Ro 0,5%) und der verfassungsmässige Grundsatz «Einer für alle, alle für einen» sind Fluch und Segen zugleich. Für kleine sprachliche Minderheit kann nur mit Unterstützung aller ein vielfältiges und eigenständiges Programm produziert werden.

2. Qualität vs. Boulevardisierung
Die SRG soll nicht nur haushälterisch produzieren, sondern Themen und Inhalte pflegen, die vom «Boulevard» und damit vom Mainstream-Publikum gemieden werden. Fragt sich, wo sich dann die SRG auch vom Boulevard abgrenzen und ihm seine Inhalte überlassen soll (hierzu anstössig zu empfehlen ist diese kleine Notiz inkl. Kommentare bei Medienspiegel.ch)

3. Kulturförderung
Das Schweizer Filmschaffen hört nicht beim unvergesslichen «Schweizermacher» auf. Auch heute noch entstehen beliebte Werke à la «Herbstzeitlosen». Möglich ist dies wohl vor allem durch die Unterstützung der SRG via Mitfinanzierung und Ausstrahlungsrechte.

4. Eigenständigkeit und Unabhängigkeit
Durch die offensichtliche zahlenmässige Begrenztheit des Schweizer Publikums, dividiert in mehrere Sprachregionen, lässt sich die notwendige kritische Masse für einen rentable unterstützungfreie Produktion von Inhalten in der besprochenen Qualität nicht erreichen. Wollen wir medienpolitisch unabhängig von den grossen Playern und Massenmärkten bleiben, muss sich die Schweiz auch weiterhin die «Idée Suisse» leisten.

Wie das konkret aussehen wird – es wissen es die Götter. Anlässlich der Wahlen 2011 soll unter dem Titel «Treffpunkt Bundesplatz» ebendort ein Studio den Betrieb aufnehmen, welches mehrkanalig (Web, Radio, TV) und interaktiv arbeitet. Der Newsroom im Feldversuch. Sicher kostspielig – aber für die Schweizer Medienlandschaft ein Versuch wert.

Weiterführende Links:
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