Im Chat blinkt eine Nachricht auf. Meine Freundin Karin fragt, was wir anderen Freundinnen am Frauenstreik machen. Schweigen. Dann: Streiken? Ja, klar. Eine kann bis 10 Uhr, eine andere ab 16 Uhr. Weil: Meetings. Tanzaufführung des Sohnes. Workshop, 12 Teilnehmerinnen, schon lange abgemacht.
Sind Streik und Demo im Jahr 2019 noch die richtigen Kommunikationsmittel? Und wenn nicht, wie forcieren wir dann die Debatte? Braucht es die überhaupt noch? Kolleg*innen aus der Kommunikationswelt – unterschiedlich alt, unterschiedlich erfahren – teilen ihre Ansicht:
Isabelle Sailer, selbständige Beraterin
«Der Frauenstreik regt mich an, in meinem Umfeld die Diskussion zu suchen. Es reicht nicht, die Gleichstellung eine gute Idee zu finden. Wir müssen etwas dafür tun: raus aus alten Rollenbildern und die Aufgaben neu verteilen. Das gilt für Arbeitgeber*innen und Arbeitenehmer*innen, für Frauen und für Männer. Die Mobilisierung findet auf der Mikroebene statt, bevor sie grosse Wellen schlagen kann: in der Familie, im Freundeskreis, im Büro, aber auch in Foren, Blogs und auf Social Media. Mobilisierung funktioniert auch über Betroffenheit. Meine liegt im Spagat zwischen Mutter, Berufsfrau, Freundin und Ehefrau. Ich habe gelernt das auch im beruflichen Umfeld zu thematisieren. Macht man ein Tabu draus wird es schwierig.»
Jean-Marc Hensch, Unternehmer und Business Angel
«Das Wort „Streik“ ist reichlich bünzlig, verweist es doch auf Arbeitsmodelle, die es immer weniger gibt (auch wenn es die weiterhin brauchen wird). In der modernen Arbeitswelt, in welcher ich lebe, gibt es keine fixen, mit der Stechuhr kontrollierten Zeiten für die Arbeit, die man „niederlegen“ kann. Ich glaube auch, dass man das gesellschaftliche Thema Gleichstellung nur über Veränderung der Kultur voranbringen kann, was seine Zeit braucht. Die beiden wichtigsten Hebel sind Bildung und Berufswelt. Zu letzterem noch Folgendes: Für viele Frauen kommt aus unterschiedlichen Gründen nur eine Teilzeitanstellung in Frage. Und Teilzeit ist erst dann kein Karrierekiller mehr, wenn bis zuoberst Teilzeit nicht nur als Option angeboten, sondern auch vorgelebt wird. Ich war selbst fünf Jahre lange CEO im 60%-Pensum und kann bestätigen: Es tut nicht nur nicht weh, sondern bringt allen Mehrwert.»
Yanick Thalmann, Berater
«Ich finde es wichtig, die eigene Unzufriedenheit in einem konstruktiven Rahmen publik zu machen und dafür einzustehen. Streiken allein genügt nicht. Wir müssen uns aktiv um die Gleichstellung bemühen. Es braucht einen Wertewandel und der ist schwierig. Unternehmen können einen Beitrag leisten, in dem sie sich klar positionieren und die Werte der Gleichstellung auch leben. Spannend ist das auch aus kommunikativer Sicht: Wenn sie in Sachen Gleichstellung eine Vorbildfunktion einnehmen, können sie das auch gegen aussen kommunizieren.»
Helena Kordic, Projektleiterin
«Ich mache mit beim Frauenstreik. Mir geht es um Gerechtigkeit und Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt, faire Löhne in allen Berufssektoren und Lohngleichheit. Warum soll ein Mann für gleiche Arbeit mehr verdienen? Arbeiten wie Haushalt, Kinderbetreuung oder die Pflege von Familienmitgliedern werden noch nicht genug wertgeschätzt. Der Frauenstreik ist das perfekte Mittel, um Leute zu mobilisieren und sie zusammenzubringen. Zudem müssen Frauen und Männer im Alltag über Probleme und Anliegen sprechen, mit dem Chef, der Familie und Freunden. Es scheint mir wichtig, junge Leute und Kinder in den Diskurs einbeziehen. Sie sind die Zukunft.»
Mein Fazit: Gesellschaftlicher Wandel braucht Zeit – aber auch die Debatte. Ein Streik kann ein kommunikativer Katalysator sein und verschiedene Ansprüche unter einem Thema bündeln. Das generiert Aufmerksamkeit und lenkt den Diskurs. Wie das geht, zeigen uns die Jugendlichen mit dem Klimastreik.
Weiterführend
Blogbeitrag zum Thema Mobilisieren via Social Media
Blogbeitrag zum Klimastreik