Wir leben in der Blütezeit der selbsternannten Virologen, Immunologen und Epidemiologen. Eigentlich könnten sie uns herzlich egal sein. Bloss droht die schiere Masse ihrer Äusserungen die nützlichen Informationen zu verdrängen, die uns die tatsächlichen Expert*innen, welche in diesen Fachgebieten seit Jahrzehnten forschen, vermitteln möchten. Was tun?
Orientierung geben können diejenigen Forschenden, die es schaffen, sich mit ihrer Stimme vom Informationsrauschen abzuheben, aber auch Akteure aus Kommunikation und Journalismus, die Wissen so vermitteln, dass es Klarheit schafft. Besonders empfehlen möchte ich das Buch «Immun» von Philipp Dettmer, erschienen im vergangenen November, das uns auf mehreren 100 Seiten in die Tiefen unseres eigenen Immunsystems führt. Es macht so ziemlich alles richtig, was Wissenschaftskommunikation richtig machen kann:
- Das Storytelling: Schon auf der ersten Seite wird klar, dass der Autor das Storytelling virtuos beherrscht. Langweilig wird uns auf der Reise durch unser Immunsystem keine Sekunde lang. Da wird gekämpft mit ausgeklügelten Präzisionswaffen, mit dem Maschinengewehr und den Mitteln der chemischen Kriegsführung; die Zellen des Immunsystems tanzen aber auch miteinander, küssen sich und flüstern sich magische Worte zu.
- Das Visuelle: Beim Lesen läuft im Kopf ein Film ab, und trotzdem: Wäre all dies nur in Worten beschrieben, könnte das Buch überwältigend wirken. Aber kunstvoll gezeichnete Illustrationen helfen uns in regelmässigen Abständen, das Gelesene zu sortieren und zu überblicken.
- Das Wissen: Philipp Dettmer, Gründer des legendären Youtube-Kanals und Designstudios Kurzgesagt, hat jahrelang recherchiert und mit Wissenschaftler*innen zusammengearbeitet. Was er uns beibringt über das komplexe Zusammenspiel unseres angeborenen und adaptiven Immunsystems und seiner zahlreichen Akteure, über Infektionen, Autoimmunerkrankungen und Impfungen, beruht auf solidem Wissen.
- Das Nichtwissen: Trotz der umfassenden Wissensvermittlung ist das Buch transparent, wenn es um Bereiche geht, die noch eingehender erforscht werden müssen oder in denen noch keine eindeutigen Erkenntnisse vorliegen. Eine wichtige Komponente, die die Wissenschaftskommunikation glaubwürdig macht.
- Auf Augenhöhe: Zugegeben, der Ton wirkt streckenweise lehrerhaft; die Leserin, der Leser wird angesprochen als jemand, der viel zu lernen hat. Gleichzeitig gibt Philipp Dettmer ganz offen zu, wie viel er selbst bei der Arbeit an diesem Buch gelernt hat; wie oft er gestaunt hat. Er nimmt uns an der Hand und lädt uns ein, seine eigene Reise des Lernens und des Staunens nachzuvollziehen.
Das Buch ist gleichzeitig in englischer und deutscher Sprache erschienen. Ich habe die englische (Original)Version gelesen, habe mir aber sagen lassen, auch die deutsche Ausgabe sei sehr lesenswert. Hier ist es erhältlich:
- Immune: a Journey into the Mysterious System that Keeps You Alive; von Philipp Dettmer, erschienen bei Random House, November 2021
- Immun: Alles über das faszinierende System, das uns am Leben hält; von Philipp Dettmer, erschienen bei Ullstein, November 2021
Tipp: Unterstütze Deine lokale kleine Buchhandlung und bestelle das Buch dort.
Weiterführend:
..oder leihe es in deiner Bibliothek des Vertrauens aus. Danke für den Buchtipp!