Was tue ich? Was nicht? Die Freiheit der Moderne bringt den Luxus dieser Fragestellung. Dieser Anstoss gibt kleine Tipps für die grosse Lebensreise. In drei Schritten:
- Loslassen
- Selbstliebe
- Bewusstsein
Loslassen: Ankommen in der Stille
Sie erwarten jetzt eine Handlungsanleitung. Doch der erste Tipp lautet: Nichts tun. Ankommen. Im Jetzt. Akzeptieren, dass alles ist, wie es ist. Wer aus diesem Loslassen heraus Schritte tut, der erreicht Veränderungen mit mehr Leichtigkeit. Denn der Ort des Glücks liegt nicht ausschliesslich in der Zukunft.
Es ist völlig in Ordnung, aktiv zu sein, Situationen zu verbessern, seiner Sehnsucht zu folgen. Aber die dauernde Ausrichtung auf das Mehr im Morgen führt zum Verlust von Lebenslust.
Es gibt viele Möglichkeiten, sich im Loslassen und in der Stille zu üben. Sie werden spüren, wenn Sie Ihre Form der Meditation gefunden haben – die auch gar nicht so heissen muss. Je mehr Sie üben, desto leichter wird es Ihnen fallen, auch in schwierigen Momenten ganz im Hier und Jetzt zu bleiben.
Selbstliebe: Wo alles beginnt
Nur wer sich selbst achtet, kann andere achten. Und ist damit weniger angewiesen auf die Anerkennung anderer. Sich selbst anzuerkennen ist genauso wichtig, wie die Anerkennung anderer. Beginnen Sie bei sich selbst:
Staunen Sie darüber, was Sie können und erreicht haben. Blicken Sie für einmal zurück auf den bisherigen Weg – anstatt immer nach oben, auf den Gipfel zu starren.
Stellen Sie sich vor, ein Geschenk zu sein für sich und andere. Das fällt oft schwer. Denn wir werden dauernd beurteilt, beurteilen andere – und uns selbst am strengsten. Gibt es eine Person, die für Sie ein Geschenk ist? Öffnen Sie sich für die Vorstellung, dass diese Person sie ebenfalls als Geschenk empfindet. Dieser Einstieg kann Ihnen die Selbstakzeptanz erleichtern.
Gönnen Sie sich monatlich einen Verwöhn-Termin. Nur mit sich selbst. Verwöhnen ist etwas sehr Persönliches, halten Sie sich bei Ihrer Wahl an keine Regeln oder Vorstellungen. Sie werden sehen, dass es anders ist, wenn Sie diese Zeit wirklich mit sich alleine geniessen. Nehmen Sie Ihr inneres Kind an der Hand und führen Sie es aus. Vielleicht für einen Pfützen-Spaziergang, einen Kino-Abend oder eine Ausstellung?
Geben Sie Wertschätzung weiter, ohne Erwartung. Sagen Sie anderen, was Sie an ihnen schätzen. Nennen Sie die konkrete Handlung, wie Sie diese erleben, was sie bei Ihnen für Gefühle auslöst. Ohne damit etwas erreichen zu wollen – weder Wohlverhalten noch Dankbarkeit.
Bewusstsein: Immer freier wählen
Lebenskunst heisst heute, aus vielen Möglichkeiten zu wählen. Frei von sozialen Zwängen der Vergangenheit, gefangen im ausufernden Angebot der Gegenwart. Ein Leben lang können wir uns darin üben, immer freier zu werden von äusserem Druck und aus unserem Innersten heraus zu handeln. Dabei dürfen wir freilich den ersten Schritt, das Loslassen, nie ganz vergessen – denn auch hier gilt: Zum Leben gehören auch das Scheitern im freien Entscheiden und das Akzeptieren ungeplanter Einflüsse.
Wilhelm Schmid sieht die Kunst der Lebensführung als Weg zur inneren Freiheit. Für die Schulung dieser Kunst gibt er zehn Fächer an. Lassen Sie sich davon inspirieren – vieles davon wird sich schon ganz unbewusst in Ihrem Leben manifestiert haben. Vielleicht dient die Übersicht als Bestätigung und Anreiz, den lebenslangen Lernweg mit Begeisterung weiter zu gehen.
- Gespür. Sinnlich, strukturell und virtuell lässt sich Sensibilität schulen. Im Umgang mit sich, anderen, Natur und Kunst. Im Erfassen von Wissen, Zusammenhängen und Hintergründen.
- Wissen. Nicht als Selbstzweck gebüffelt, sondern zur Stärkung der Persönlichkeit.
- Kunst. Wer sich mit Zeichnen, Musizieren, Singen, Tanzen, Theaterspielen befasst, der schult auch den Umgang mit eigenen Grenzen, erhält Impulse zur bewussten Lebensgestaltung.
- Körperarbeit. In der Bewegung schult das Selbst ganz natürlich den bewussten Umgang mit den eigenen Fähigkeiten, Potenzialen und Grenzen.
- Selbstsorge. Ziel der körperlichen, seelischen und geistigen Pflege der eigenen Person ist ein aufrichtiger Umgang mit sich selbst und daraus heraus mit anderen.
- Umgang. Von der Selbstsorge zum Zusammenleben: Wie können Begegnungen gestaltet werden? Wie bleibt man achtsam in harmonischen und konfliktreichen Situationen?
- Sinn. Die Vermittlung einer Deutungskompetenz stiftet Sinnzusammenhäng und öffnet lebenswerte Perspektiven.
- Schönheit. Wo liegt das Bejahenswerte? Was ist für Sie persönlich schön? Wie bringen Sie diese Schönheit in Ihr Leben, auch für andere?
- Glücksfähigkeit. Glück beginnt dort, wo Gleichgültigkeit endet und man zumindest den Versuch der Veränderung wagt. Üben lässt sich auch eine Haltung, die Glück zulässt.
- Transzendenz. Zur Schule der Lebenskunst gehört schliesslich das «Darüberhinaus», die Diskussion von Zusammenhängen, die über körperliche Erfahrung hinausreichen.
Lektüre für Lebenskünstler in Ausbildung
Wilhelm Schmid (Wikipedia), «Mit sich selbst befreundet sein. Von der Lebenskunst im Umgang mit sich selbst.» Ein wunderbar recherchiertes, weit ausgreifendes Buch der Möglichkeiten. Dem deutschen Philosophen gelingt es, die Herausforderungen der Lebensführung in einen historischen und gesellschaftlichen Zusammenhang zu bringen. Ohne belehrende Rezepte.
Pema Chödrön (Wikipedia), «Wenn alles zusammenbricht. Hilfestellung für schwierige Zeiten.» Die tibetisch-buddhistische Nonne kommt schnell auf den Punkt. Ein Buch nicht nur für Lebenskrisen, sondern als tägliche Aufforderung zum Verstehen und Üben des Loslassens.
Marshall Rosenberg (Wikipedia), «Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens.» Rosenberg zeigt, wie destruktiv «normale» Dialoge oft ablaufen. Und wie man ohne Manipulation lobt. Zum Thema gibts zahlreiche Seminare, auch über Marshalls Website.
Wenn Sie das hier lesen, dann leben Sie noch. Geniessen Sie das Jetzt, sich selbst und alle, die gerade mittanzen auf dieser Eierschale im Lebensfluss. Hören Sie das Tosen der nächsten Stromschnelle? Kurz davor ruft uns Pema Chödrön beruhigend zu:
«Wenn wir uns aber auf die Reise machen, um Sicherheit zu finden, zielen wir voll daneben.»