Hilfe, das Telefon klingelt. Die Mailbox überläuft. Der Blackberry blinkt. Was bestimmt Ihren Tagesablauf? Sind Sie es – oder Ihre Angst, etwas zu verpassen? Dieser Anstoss lädt Sie dazu ein, sich stille Zeiten zu gönnen, auch in einer vernetzten und vollgepackten Welt.
Sie erfahren
- wie neue Medien unsere Wahrnehmung verändern
- wie Sie bewusst abschalten
- wo das Potenzial der Stille liegt
Medien verändern die Wahrnehmung
Umfragen bestätigen: Die Internet, Mobiltelefon und E-Mail führen zu mehr Ablenkung, verkürzen Aufmerksamkeits-Spannen, reduzieren persönliche Kontakte. Der Spiegel (1) zitiert Studien der Neurologie: «Ein von Daten überflutetes Gehirn verliert die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen und Probleme zu lösen.»
Mit RescueTime (2) kann man das eigene PC-Verhalten auswerten und vergleichen. 40’000 Nutzerprofile haben ergeben, dass der typische amerikanische Informationsarbeitende täglich 50-mal seine Mail öffnet, 77-mal Sofortnachrichten über Instant Messaging absetzt und etwa 40 Webseiten besucht. Auch wenn die Zahlen in Europa noch tiefer liegen mögen – gerade E-Mail hat ein hohes Suchtpotenzial. Das laufende Abarbeiten der eingehenden Nachrichten degradiert uns zu digitalen Fliessbandarbeitern, dank mobilen Endgeräten überall und jederzeit.
Wichtig ist ein persönliches Bewusst-Sein: Werde auch ich alle drei Minuten von einer neuen Aufgabe, Mitteilung, E-Mail abgelenkt?
Aussteigen und dranbleiben – fünf Tipps
Das Netz ist verführerisch. Damit Sie sich nicht ganz verlieren in einem Medium, dass unser Leben enorm bereichert, hier fünf praktische Tipps. Bauen Sie sich Inseln der Aufmerksamkeit. Sie werden fokussierter, wirksamer und vielleicht sogar zufriedener.
Erstens: Mails gezielt abholen.
Nehmen Sie sich die Freiheit, Mails nur zweimal pro Tag zu lesen. Stellen Sie bei automatischem Mail-Empfang die Zeitspanne fürs Abholen auf mindestens drei Stunden. Mehr zum effizienten Leeren der Mailbox im Anstoss vom März 2005 (3). Ja, wir sind radikaler geworden – damals waren es noch vier Mal Mails lesen pro Tag.
Zweitens: Netz weg, Telefon stumm, Türe zu.
Wie wärs mit einem halben Tag hinter verschlossenen Türen? Das Mobiltelefon ausgeschaltet, beim Sekretariat auch für interne Anrufer abgemeldet? Auch das Web ist aus – Sie nutzen es nur noch für direkt auf Ihr Projekt bezogene Arbeiten. Sie werden staunen, wie weit Sie in diesen vier Stunden kommen. Und wie schwierig es ist, sich diese Zeit wirklich zu nehmen. Erlaubt Ihre Bürosituation keinen Rückzug? Vielleicht geht es zu Hause besser. Leben Sie in einer Unternehmenskultur der steten Verfügbarkeit? Zeigen Sie Ihren Chefs, dass ausgerechnet Intel (4) mit einem halben Tag der Stille enorm gute Erfahrungen gemacht hat.
Drittens: Was ist wichtig? Und dran bleiben.
Gehen Sie bewusst um mit der gewonnenen Zeit. Bis zur nächsten Störung können Sie autonom entscheiden, was anliegt. Jetzt hilft es, wenn Sie eine Gesamtsicht aller anstehenden Aufgaben haben. Was ist das wichtigste? Was passt am besten in eine ungestörte Zeit, wo Sie wirklich dran bleiben können? Das laufende Auflisten, Aktualisieren und Priorisieren von Aufgaben ist eine mühsame Sache – aber sie hilft enorm. Unser Guru für diesen Bereich ist David Allen mit «Wie man Dinge geregelt kriegt» (5).
Viertens: Wenn du eilig bist, setze dich.
Wer sich in der steten Beschleunigung immer schneller dreht, der verliert. Eine ganz einfache Übung: Atmen Sie fünfmal durch die Nase ein uns aus. Bewusst, folgen Sie dem Atem in Gedanken. Dann die Luft nach einem Ausatmen anhalten, innerlich auf zehn Zählen, wieder einatmen – durch die Nase. Das Ziel: Im Hier und Jetzt ankommen. Dazu Eckhart Tolle (6): «Stress wird verursacht, wenn du ‚hier‘ bist, aber schon ‚dort‘ sein willst.»
Fünftens: Spaziergang, Tanzen, Yoga, Tai Chi, Nichts tun.
Kann sein, dass es Ihnen mit dieser fünften Aufzählung definitiv zu viel wird. Kein Stress! Lassen Sie sich Zeit, gehen Sie liebevoll mit den Schwierigkeiten des voll vernetzten Alltags um. Als Ausgleich wählen Sie Ihr ganz persönliches Krafttraining für den Geist. Vielleicht ist es ein Waldspaziergang, vielleicht Yoga, vielleicht einfach Nichts tun ganz ohne Schuldgefühle. Wichtig ist, dass Sie es regelmässig tun, was immer Sie wählen. Ausdauer schärft Ihren Fokus – mehr dazu im Anstoss-Newsletter vom August 2006 (7).
das Potenzial der Stille
Stille ist ein besonders kraftvolles Training für unseren Geist. Weil er dabei zur Ruhe kommen kann. Und dabei können sich Räume öffnen, die uns freier machen. Sie werden diesen Newsletter mitten im Lärm der weiteren wartenden E-Mails lesen, in der Betriebsamkeit des Alltags. Da ist Stille weit weg, und irgendwie bedrohlich. Für alle, die hin und wieder in diesen Raum gehen möchten, ein Satz von Joseph Goldstein (8): «Alles kommt und geht von selbst. Wir müssen nichts tun, um es kommen zu lassen oder gehen zu lassen oder es loszulassen. Wir müssen es einfach nur sein lassen.»
Quellen und Links
(1) «Die Daten-Sucht», Der Spiegel 11. November 2008
(2) RescueTime misst jeden Klick am Computer, nach Testmonat ab 35 USD/Monat für ein Team von sechs Mitarbeitenden. Interessante Hinweise für die persönliche Produktivität, wenn alle Beteiligten die Daten austauschen wollen: Preisübersicht.
(3) «Tipps für den effizienten Umgang mit E-Mail», Anstoss-Newsletter März 2005
(4) Was passiert, wenn 300 Ingenieure einen ganzen Dienstagmorgen für ungestörte Arbeit erhalten? 71 Prozent der Beteiligten wünschen sich eine Fortsetzung dieses Testprogramms. Mehr zu «Quiet Time» und «No-Email-Day» in diesem Intel-Blogbeitrag vom 14. Juni 2008.
(5) «Getting Things Done» von David Allen zeigt auf, wie man sich einen Überblick über alle offenen Projekte verschafft, ihn aktuell hält und wie man To-Dos effizent bearbeitet. In deutscher Sprache ist im Mai 2008 erschienen: «So kriege ich alles in den Griff»
(6) JETZT! Die Kraft der Gegenwart, Eckhart Tolle, 2000
(7) «Ausdauertipps für Arbeit und Freizeit», Anstoss-Newsletter August 2006
(8) «Vipassana-Meditation, Die Praxis der Freiheit», Joseph Goldstein, 1999
«Es gibt vielerlei Lärme. Aber es gibt nur eine Stille.»
Kurt Tucholsky, «Zwei Lärme», in «Die Weltbühne», 1925