Social Media nehmen Einfluss auf die Arbeitsweise der Schweizer Medienschaffenden. Mit einem deutlichen Fokus auf Facebook und Twitter nutzen sie das dialogische Web zum Recherchieren, Publizieren und Kommunizieren. Erstmals untersuchten Bernet PR und das Institut für Angewandte Medienwissenschaft IAM der ZHAW die Nutzung des Social Web durch Schweizer Journalistinnen und Journalisten mit qualitativen Interviews. 

Medienmitteilung, 28. April 2015

Informationen auf einen Blick:

In den 18 Gesprächen mit ausgewählten Schweizer Journalistinnen und Journalisten zwischen August 2014 und Januar 2015 haben Bernet PR und das IAM versucht die Spannungsfelder zu beschreiben, die sich für Journalistinnen und Journalisten eröffnen. Guido Keel, wissenschaftlicher Studienleiter/IAM ZHAW: «Die Journalisten schätzen Social-Media-Kanäle wie Twitter oder Facebook als Themengeber und für den Zugang zu Quellen. Gleichzeitig sehen sie grosse Herausforderungen im aufwändigen Filtern von Information und in der Verzerrung der Wahrnehmung von Relevanz.» Der Kanal Twitter wird von den Journalisten als die schnellste Newsquelle genannt. Gleichzeitig beurteilen sie die Verlässlichkeit und Bedeutung der Aussagen im Social Web kritisch.

Recherche: Türöffner, Seismograph, Themenlieferant

Die Recherche-Arbeit hat sich gemäss den meisten Befragten nicht grundsätzlich verändert, beeinflusst sie aber als Zusatzkanal von Ideenfindung bis Quellen-Verifizierung. Die Kanäle bringen schnelleren Zugang zu Experten oder Betroffenen. Irène Messerli, Co-Herausgeberin bei Bernet PR schliesst daraus: «Medienschaffende suchen den direkten Kontakt zu Unternehmen und ihren Experten. Deshalb ist es wichtig, dass Wissensträger, Meinungsmacher und Persönlichkeiten im Unternehmen sicht- und ansprechbar sind.» Die Tempo-Erhöhung bei der Recherche und die News-Hoheit der Social-Media-Kanäle bedeuten zudem: Die journalistische Aufgabe bewegt sich immer schneller weg vom Info-Transport hin zur Prüfung und Beurteilung von News und Gerüchten.

Publizieren: neue Abläufe, grössere Reichweite, wenig Regeln

Beim Veröffentlichen von eigenen Inhalten zeigen sich die Journalisten noch zurückhaltend. Die Social-Media-Affinität ist erst bei einer Minderheit ausgeprägt. Einzelne Journalisten verfolgen dabei die Strategie, auf Social Media ihre eigene «Medien-Marke» aufzubauen, während andere diese Kanäle als Erweiterung des eigentlichen Stamm-Mediums ansehen. Vereinzelt werden dabei in der Distribution Ansätze eines konvergenten Storytellings beschrieben: Geschichten werden im Medium aufgebaut und dann via Social-Media-Kanäle weitergezogen oder erweitert. Social-Media-Guidelines sind in den Redaktionen nur vereinzelt vorhanden, und wenn, scheinen sie einen geringen Einfluss auf die Tätigkeiten der Journalisten auszuüben. Die Haltung zur Kennzeichnung persönlicher Meinung geht stark auseinander – von klarer Abgrenzung bis hin zur vollständigen Öffnung, da sich in den Augen der betreffenden Journalistinnen und Journalisten die Trennung von redaktioneller und persönlicher Meinung eh nicht halten liesse.

Abstrakte Themen mit grossem Recherche-Aufwand haben es bei der Verbreitung via Social Media deutlich schwieriger als Geschichten mit Emotion, Aufreger-Potenzial, Sex, Lokalbezug, kontroversen oder persönlichen Meinungen.

Publikumsdialog: mehr Input, Feedback, Austausch

Rund die Hälfte der Befragten gab an, dass aus dem Publikumsdialog schon Folgegeschichten entstanden seien. Gleichzeitig äussern die Journalisten Bedenken bezüglich der Qualität des Social-Media-Dialoges. Die Hürde läge für Provokateure und unsachliche Kritiker im Netz tiefer als im persönlichen Gespräch oder via Leserbrief. Der Schritt zum substanziellen Austausch mit einer Quelle läge deshalb häufig im persönlichen Treffen und Gespräch. Einen Mehrwert und die Zukunft im Dialog sehen die Befragten darin, ihr Publikum und sein Interesse besser kennen zu lernen, schnell auf Fehler hingewiesen zu werden und die Nutzer in die Themenfindung einzubeziehen.

Abschliessend wurden die Medienschaffenden zur Organisation der Social-Media-Kanäle in der Redaktion befragt. Dabei zeigten sich zwei typische Organisationsweisen: Entweder werden die Kanäle von einer spezialisierten Abteilung gespiesen, oder die Redaktoren sind selber für die Publikation auf den Social-Media-Plattformen verantwortlich.

Handlungsbedarf bei Journalisten und PR-Schaffenden

Die veränderten Bedingungen schaffen auf Seite der Medien und bei den PR-Profis neue Herausforderungen. Dominik Allemann, Co-Herausgeber bei Bernet PR hierzu: «Die Medienarbeit wird heute noch als die wichtigste PR-Disziplin angesehen und umgesetzt. Die Online-Umsetzung wird jedoch stark vernachlässigt. Wir sehen bei Agenturen und PR-Abteilungen einen grossen Aufholbedarf bei Strategie, Kanalaufbau sowie im Online-Newsroom, bei Communiqués und im Dialog mit Meinungsmachern.»

Die Studie inklusive Journalisten-Portraits und Anwendungstipps für Journalisten und PR-Leute ist erhältlich in verschiedenen Formaten beim Verlag buch & netz.

Medienkontakt:

Bernet_PR, Irène Messerli und Dominik Allemann
irene.messerli@bernet.ch  | @irenemesserli  |  +41 44 266 90 80
dominik.allemann@bernet.ch  |  @dominikallemann – +41 44 266 90 80

 ZHAW, Institut für Angewandte Medienwissenschaft, Guido Keel
guido.keel@zhaw.ch – +41 58 934 77 65

Bestellung von Rezensionsexemplaren: http://goo.gl/Sd2cOS

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Bernet_PR betreut seit 1991 Kunden aus Technologie, Bildung, Finanz, Tourismus, Transport, Behörden, Detailhandel/E-Commerce, Verlag und Non-Profit. Mit Studien, Checklisten, und Publikationen leistet die Agentur einen Beitrag zur Weiterentwicklung von Kommunikation und Online-PR und blickt auf eine lange Forschungszusammenarbeit mit dem IAM zurück.

Das IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW setzt sich seit 2000 für die Professionalisierung der Berufsfelder Journalismus und Organisations­kommunikation ein. Das Institut nimmt den gesamten Leistungsauftrag der Hoch­schulen wahr: Ausbildung, Weiterbildung, Forschung und Beratung. Seit 2002 untersucht es dabei in Zusammenarbeit mit Bernet PR, wie sich das Internet auf den Journalismus in der Schweiz auswirkt.

 

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