Können Sie erst einschlafen, wenn Sie darüber getwittert haben? Wie wir verlernen, mit uns selbst alleine zu sein.
Wenn das Handy mal keine Verbindung hat, blicken wir garantiert alle zwei Minuten auf das Display, ob sich das jetzt geändert hat. Wenn die Internetverbindung nicht funktioniert, werden wir nervös und fühlen uns ausgeschlossen. Verzweifelt suchen wir nach einer Möglichkeit, doch noch «reinzukommen». Vielleicht sollten wir zwischendurch einfach wieder mal üben, alleine zu sein.
Handy und Mail als Nuckelflasche
Nachdenklich gemacht hat mich der Artikel «Jenseits der Stille» auf sueddeutsche.de. Alex Rühle beschreibt darin Handy und Mail als «Nuckelflasche, aus der man sich seinen süssen Brei holt, das Gefühl, gebraucht, geliebt, angesprochen zu werden. Sobald der Blackberry in der Hosentasche vibriert, gibt es null Aufschub, muss man sofort nachschauen, wer da was Leckeres geschrieben hat.» Nicht umsonst trägt der Blackberry den Spitznamen Crackberry. Egal ob iPhone oder Blackberry: Allein die Aussicht, es könnte keiner anrufen, treibt dazu, selbst loszusimsen. Das Gefühl kenne ich selbst, ich geb’s zu.
«Wir haben uns verwandelt von einer Gesellschaft, die den einsamen Typen auf dem Rücken eines Pferdes feierte, zu einer Gesellschaft, der es am wichtigsten wurde, möglichst viele Datenströme zu verwalten», erklärt der New Yorker Sozialprofessor Dalton Conley in «Elsewhere, U.S.A.: How We Got from the Company Man, Family Dinners, and the Affluent Society to the Home Office, BlackBerry Moms, and Economic Anxiety». Ein lesenswertes Interview mit Conley gibt’s übrigens auf salon.com.
Ständige Erreichbarkeit
Conley schreibt, wir seien keine Individuen mehr, die nach Authentizität streben, sondern «Intraviduen», die gehetzt einen konstanten Strom von Messages, Anrufen, Kontakten und Daten zu managen versuchen. Heute würden alle, vom einfachen Arbeiter bis zur Führungskraft, permanent von dem Gefühl gejagt, zu wenig Zeit zu haben und zu wenig zu arbeiten. Weshalb eben alle versuchten, permanent erreichbar zu sein, am Wochenende genauso wie in den Ferien. Warum nicht schnell den Termin koordinieren und einen Flug buchen? Und wenn man am Sonntag zehn Mails beantwortet, muss man das nicht mehr am Montagmorgen im Büro machen.
Kein Wunder, dass immer mehr Menschen Meditationswochen in Entschleunigungsoasen buchen – aber bitte mit Internetanschluss und Sat-TV.
Ich ertappe mich öfters beim „geistig twittern“ in Situationen, in denen ich gar kein Gerät zur Verfügung habe wie z.B. beim Autofahren, Radfahren und v.a. während Meetings.
Allein die Absenz von mobilen Geräten macht es also nicht aus…