Ich bin dabei, einen kurzen Text darüber vorzubereiten, wie sich die Arbeit von PR-Fachleuten in den letzten zehn Jahren verändert hat. Mit Fokus auf die Medienarbeit. Was meinen Sie?
Vor zehn Jahren habe ich an meinen Vorträgen rund ums Internet kurz gefragt: Wer hat eine E-Mail-Adresse. Jetzt bitte nicht lachen! 1997 hatten Unternehmen, Agenturen und Pressestellen noch das Gefühl: Dieses Internet das ist so ein Spielzeug für männliche Computerfreaks. Im Saal gingen bei 200 Teilnehmenden an der ersten Internet-Expo in Zürich rund zehn Hände hoch.
Heute fragt man sich, was Weblogs, Wikis, Podcasts oder SecondLife-Auftritte für die eigene Pressearbeit bringen. Aus meiner Sicht hat sich in den letzten zehn Jahren entscheidend verändert:
– die Anzahl der Pressestellen in Unternehmen, Behörden, Institutionen ist stark gewachsen (hat jemand Zahlen? Meine Recherchen beim SPRG und andernorts bringen keine harten Facts)
– die Anzahl der Kanäle, über die man Medieninfos verbreiten muss, hat sich stark erhöht
– Pull hat sich definitiv etabliert: Medien wollen sich Infos abholen können, umfassend, aktuell
– die Anzahl der abgesetzten PR-Botschaften ist gestiegen und steigt weiter, das Selektionsproblem wird für Medienschaffende immer drängender
– Meinungen werden immer stärker nicht nur durch die top-down-Bewegung der etablierten Medien geprägt, sondern zunehmend durch Ich-Verleger im Netz
Andere Beobachtungen?
Hallo Marcel
Zu Punkt 3 „Pull hat sich definitiv etabliert“ – Flutlicht hat Mitte März eine Studie veröffentlicht wie Journalisten im Recherche-Alltag RSS, Wikis, Blogs etc. einsetzten.
Mehr dazu hier:
http://www.flutlicht.biz/presse/pics/assets/60265b169af944fc519041b46064d5ec/Flutlicht%20Web%202.0%20Pressumfrage%202007.pdf
Hängt mit dem letzten zusammen, aber verdient vielleicht einen eigenen Bullet: Das Publikum hat im Netz Zugriff zu den gleichen Quellen wie die Journalisten. Anfangs musste man sich für die Pressebereiche der Konzerne noch registrieren/akkreditieren; heute kaum noch. Das heisst, ich kann jederzeit auch den Rohstoff lesen, aus dem die Medien ihre Meldungen machen.
Ich habe gerade eine intensive Phase der Info-Aufbereitung aus einem alten eigenen Geschäft hinter mir: Dabei erinnere ich mich eben an den Stapel von Faxen aus den 90er Jahren mit dem Touch eines Schreibmaschinenlooks, und das Mail war Avantgarde in der Tat.
Heute ist Info-Beschaffung auf Grund des riesigen Angebots schon sehr eine Technik. Und ich befürchte, dass auch genau dieses Denken gefördert wird: Die schnellsten Schubladenzieher die aus Facts aus zehn „Contents“ schnell einen fliessenden Artikel fertigen können. An dem ist dann zwar nichts neu oder gar eigenständig, ausser die bewusste oder unbewusste Auswahl der Quellen und die Selektierung der Inhalte. Eigen ist dabei am Ende wohl gar nix. Und angesichts der immer kleineren Redaktionen für immer grössere Infotainments wird sich daran auch nicht so schnell etwas ändern.
Zu Punkt 1: Vielleicht sind Renteria oder Zimpel bessere Quellen hierfür. Die sammeln die Daten der Pressestellen seit Jahren.
Generell ist das Bewusstsein für die Zulieferung von Redaktionen gewachsen. Als ich vor fast 10 Jahren auf einer Lokalredaktion anfing, gingen alle davon aus, dass ich schon auf sie zukäme, falls ich was wollte. Unterdessen liefern Vereine, Gemeinden, Unternehmer, Hoteliiers regelmässig selber. In dem Sinn ist ganz klar eine Zunahme der Medienmitteilungen zu verzeichnen, was aber nicht nur die erwähnte negative Seite (Filter-Funktion) hat. Das hat die Zeitungen auch vielfältiger (ja, trotz allem) gemacht. Heute sind viele Themen in den Medien, an die Journalisten vor zehn Jahren gar nicht herankamen. Und umgekehrt haben viele Unternehmen jetzt die Chance auf Medienpräsenz, die vor zehn Jahrne kaum vorhanden war.
Ich würde es sehr angenehm finden, wenn die Veränderungen ab und zu auch mit positiven Apsekten dokumentiert würden…
danke an allle echos – übrigens sehe ich die veränderung durchaus auch positiv. flut, beschleunigung, immer mehr fällt einem zuerst auf. aber auch ganz neue möglichkeiten, mehr optionen.
übrigens danke @pep – aber auch bei renteria ist die erfassung von daten nicht aussagekräftig.
ich melde mich mit einer quintessenz in diesen tagen…
Von der Aussage „Pull hat sich definitiv etabliert: Medien wollen sich Infos abholen können, umfassend, aktuell“ bin ich nicht ganz überzeugt. Zwar ist die Grundaussage natürlich richtig – gerade wenn ich an die Themen professioneller Pressebereich bzw. Abonnement von News und Pressemitteilungen per RSS denke.
Zwei Aspekte bringen mich aber zum nachdenken: Einerseits haben wir selbst kürzlich eine Studie über grosse Automobilzulieferer (bis zu 6 Mrd. Euro/Jahr Umsatz) in Deutschland durchgeführt. Die erbrachte u.a., dass nur rund 40 Prozent der Websites einen Pressebereich haben – und damit die Bedeutung des Mediums Pull noch gar nicht erkannt haben. Zweiter Aspekt: Wenn ich an die Studie „PM 2006“ auf Basis der Stamm-Daten zurückdenke, so erbrachte diese (o.k., etwas veraltet), dass gerade 0,9% der Journalisten sich Presseinformationen selbst von Websites ziehen wollen, die Mehrzahl freut sich auf Nachrichten im Postfach.
Fazit: Die Aussage ist zwar schon richtig – aber ob die Voraussetzungen dafür schon gegeben sind, ich weiß ja nicht …
Grüsse aus Berlin
@dominik: unsere studie „journalisten im internet“ zeigt für die schweiz ganz andere zahlen: das internet hat sich auf den dritten platz vorgekämpft bei den wichtigsten quellen, gleich nach dem persönlichen gespräch und den tageszeitungen. also da pullen die journis doch sehr gerne und viel im netz – und da müsste ein unternehmen die fakten unbedingt auf einem mediencorner haben. damit man bei einer google-suche eben auch weit vorne hin kommt, unter anderem. studie siehe
https://www.bernet.ch/index.php?id=studiemedien
Ich glaube, Marcel hat sehr Recht: Es fällt auch auf, dass gerade junge Leute heute ein ganz anderes TV-Verhalten haben: Das Internet wird für Unterhaltung UND Information immer wichtiger, und ich glaube, dass klassische Medien diese Rückmeldungen nur verzögert aufnehmen – und damit auch die Firmen, die traditionell in erster Linie auf eine Zusammenarbeit mit TV und Printmedien ausgerichtet sind.
die grosse herausforderung ist einfach dieses sowohl-als-auch: unternehmen müssen heute print, web, persönliche kommunikation umsetzen und synchronisieren. jeder kanal hat für bestimmte ziele seinen vorteil. und die umsetzung, priorisierung verändert sich laufend – entsprechend den medienkonsumgewohnheiten von journalisten, meinungsmachern, öffentlichkeit, dialoggruppen.