Letzte Woche hat mich Claudia Schön von der Schweizerischen Depeschenagentur SDA zum Thema Weblogs und Wahlkampagnen interviewt – hier der Volltext samt Einleitung.
Wahlen sind sehr breit angesetzte Meinungs- und Entscheidungskampagnen. Aus meiner Sicht sind die damit verbundenen Ziele nur erreichbar, wenn im gesamten Kommunikationsmix auch Weblogs eingesetzt werden. Weil Weblogs das im Moment beste Vehikel für sehr aktuelle Inhalte, persönliche Meinung, schnellen Dialog sind. Natürlich ist der Einsatz dieses Vehikels entscheidend – und da liegt aus meiner Sicht an vielen Orten noch einiges brach. Denn ein Politblog ohne Konzept bringt auf die Schnelle nichts.
Andere Meinungen? Hier das Interview, wie es gestern von der SDA publiziert wurde:
Eidg. Wahlen 2007
„In der Politik ist Bloggen heutzutage zwingend“
Interview
Von Claudia Schön, SDA
Bern (sda) Die Schweizer Parteien und Politiker rüsten ihre
Webseiten für den Wahlkampf auf. Viele bieten Weblogs an, eine Art
virtuelles Tagebuch. Marcel Bernet, Blogger und Autor eines Buches
zum Thema, erläutert, weshalb Blogs für den Wahlkampf wichtig
sind.
SDA: Herr Bernet, Weblogs und Wahlkampf – wie passen diese Begriffe
zusammen?
Marcel Bernet: Ein Wahlkämpfer ist darauf angewiesen, so viele
Kontakte und Dialoge wie möglich zu schaffen. Ein Blog bietet diese
Möglichkeit. Der Herausgeber kann über einen Weblog seine
Standpunkte vertreten, aber auch aktuell und laufend auf
Entwicklungen während des Wahlkampfs eingehen. Ein Blog bietet dem
Leser zudem die Möglichkeit, einen Kommentar zum Beitrag zu
schreiben auf welchen der Blogger wiederum reagieren kann. So
entwickelt sich ein Dialog.
SDA: Ein technischer Dialog…
Bernet: Es ist zwar ein technischer Dialog – ich tippe etwas ein
und bekommen getippt eine Antwort. Aber dieser Dialog hat eine
andere Identifikation als das Lesen eines Zeitungsartikels – selbst
wenn ich mit einem Leserbrief darauf reagiere. Im Blog ist die
Reaktion sofort möglich und der Dialog kann weiter gehen. Diese
Austauschmöglichkeit ist der grosse Vorteil eines Blogs.
SDA: Hat ein Blog noch weitere Vorteile?
Bernet: Neben der Dialogmöglichkeit sicher die Aktualität und
die Subjektivität: Als Blogger kann ich meine Meinung publizieren,
ungefiltert, subjektiv, schnell. Und sie steht per Knopfdruck einer
breiten potenziellen Leserschaft zur Verfügung.
SDA: Und wo liegen die Nachteile?
Bernet: Ein Nachteil ist der grosse Aufwand, der das Betreiben
eines Blogs mit sich bringt. Man muss schreiben, den Blog
bewirtschaften, auf Kommentare antworten. Wenn man einen Blog
führt, kann man diesen Aufwand nicht einfach an eine Agentur
abgeben. Es geht ja um die eigene Meinung. Eine Gefahr ist auch,
dass man trotz grossem Aufwand nicht das gewünschte Echo erhält.
SDA: Wie kann sich ein Blogger das gewünschte Echo sichern?
Bernet: Er sollte täglich mindestens einen interessanten und
persönlichen Beitrag schreiben. Um erfolgreich zu sein, muss ein
Blogger Lust haben zu schreiben, er muss gut schreiben und er muss
eine Meinung vertreten. Ausserdem muss er auf die Kommentare der
Benutzer eingehen. Einen Blog aufzubauen ist viel Arbeit. Es
braucht eine Leserbindung und eine Themenführerschaft, an der man
gut und gerne sechs Monate arbeitet. Die Leute entscheiden sich
immer wieder aufs Neue, ob sie den Eintrag lesen oder nicht.
SDA: Es reicht also nicht, einfach einen Blog auf die Webseite
zu stellen und schon ist man dabei.
Bernet: Nein, das reicht nicht. Wichtig für einen erfolgreichen
Blog ist auch Authentizität. Der Blogger muss sich selber sein. Ein
gutes Beispiel ist der Blog von Moritz Leuenberger. Seine Beiträge
sind sehr lang, zu lang, dachte ich anfangs. Benutzer fordern ihn
immer wieder auf, kürzer zu schreiben. Leuenberger bleibt aber
dabei. Mittlerweile habe ich bemerkt, dass er halt einfach so ist,
er ist sich selber. Seine Beiträge sind nicht so knackig oder
boulevardesk wie andere. Das ist vielleicht ein wenig langweilig
für die Blogszene, aber authentisch Leuenberger. Mir persönlich
gefällt das.
SDA: Viele Schweizer Politiker scheuen einen Blog, weil sie keine
Plattform für Beleidigungen, rassistische oder sonst unflätige
Äusserungen bieten möchten…
Bernet: Man exponiert sich als Blogger. Dessen muss man sich
bewusst sein. Jedermann kann die Beiträge kommentieren. Als
Herausgeber kann ich zwar Kommentare streichen, aber das wird nicht
gern gesehen. Es gibt auch die Möglichkeit, einen Filter
einzubauen. Beim Blog von Bundesrat Moritz Leuenberger
beispielsweise werden die Kommentare nicht sofort publiziert. Sie
kommen zuerst in eine Schlaufe und werden erst später frei gegeben.
Kommentare mit unflätigen Äusserungen werden so gar nicht erst
veröffentlicht.
SDA: Was können Blogs zum Wahlkampf beitragen?
Bernet: Jeder Blog muss ein Konzept und ein Ziel haben. Ein
Kampagnenblog soll dafür sorgen, dass ein Kandidat gewählt wird.
Das Ziel ist es demnach, neue Kontakte zu schaffen, sie zu
vertiefen in Form von Dialog und möglichst über den Blog hinaus
Publizität zu erreichen. Schafft er es, Kontakte herzustellen, die
nicht schon über die üblichen Kanäle hergestellt wurden, hat er
sein Ziel erreicht. In der Politik ist Bloggen heutzutage
zwingend.
Man steht unter Druck, innerhalb von kurzer Zeit sehr
viel Aufmerksamkeit zu generieren. Das erreicht man nur mit einer
aktuellen, dialog- und meinungsorientierten Webseite. Und diese
heisst Blog.
SDA: Ein Blick ins Ausland: Der Präsidentschaftswahlkampf in den
USA und in Frankreich spielt sich zu einem grossen Teil im Internet
ab.
Bernet: Ja, das ist beeindruckend. Auf den Webseiten von Hilary
Clinton beispielsweise wird alles ausgenutzt. Da findet man Blogs,
Podcasts, Videocasts. Ein unglaublicher Aufwand. Aber das ist halt
ein Präsidentschaftswahlkampf. Da stecken Millionen dahinter.
SDA: Im Vergleich zu den USA steckt der Schweizer
Internetwahlkampf noch in den Kinderschuhen. Trotzdem: Unsere
Parteien rüsten ihre Webseiten regelrecht auf. Neben Blogs bieten
sie Chats, Diskussionsforen oder Podcasts an. Wird über kurz oder
lang der Wahlkampf nur noch übers Internet geführt?
Bernet: Generell verlagert sich der Medienkonsum in der
Gesellschaft von Print, Fernsehen und Radio immer stärker hin zum
Internet. Dieses gewinnt bei der Entscheidungsfindung im
kommerziellen und politischen Bereich immer mehr an Bedeutung. Auch
der Wahlkampf entwickelt sich deshalb immer stärker ins Internet.
Eine Webseite mit ein paar Infos reicht heutzutage einfach nicht
mehr.
SDA: Gehören Plakate oder die Rede im Dorf-Restaurant bald der
Vergangenheit an?
Bernet: Das Internet, insbesondere der Blog, ist ein wichtiges
zusätzliches Instrument in einer Kampagne. Es muss heutzutage Teil
sein einer Kampagne. Der Wahlkampf wird sich so stark ins Internet
verlagern, wie dort Wähler sitzen. Aber es ersetzt nicht das
Zmorgen mit dem Turnverein, das Interview mit dem Lokalradio oder
die Plakatkampagne.