NZZ Online: Leser droht mit Kommentar?

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nzzonline logoAm Internet-Briefing vom letzten Donnerstag hat unter anderem die Neue Zürcher Zeitung über ihren Umgang mit Online-Kommentaren berichtet. Nachrichtenchef Urs Holderegger vermittelte sehr transparent Absichten und Erfahrungen. NZZ Online pflegt einen selektiven Umgang mit Kommentaren, ganz entgegen üblichen Online-Gepflogenheiten.

Was mich gefreut hat: Bei der NZZ sei ein klarer Entscheid gefallen – die Zeit der Einweg-Kommunikation ist zu Ende. Gerne würde ich diesen Satz allen Organisationen und Unternehmen ins Strategieheft schreiben. Wobei die NZZ den Weg zu sich selbst eng pflastert.

Kommentare werden gesichtet und manchmal freigeschaltet
Seit dem Sommer 2007 sind die Artikel auf NZZ Online für Kommentare geöffnet. Mit Einschränkungen: Man kann nicht anonym kommentieren – zwar werden die Mail-Adressen und Namen nicht verifiziert. Aber Eingaben wie «Donald Duck» werden nicht freigeschaltet. Damit soll die Qualität der Kommentare höher ausfallen und ein Ping-Pong zwischen anonymen Kommentatoren vermieden werden.

Seit dem 6. Juli sind rund 10000 Kommentare eingegangen, rund 3500 wurden abgelehnt. Dabei geht man im Zweifelsfall restriktiv vor, auch inhaltlich. Urs Holderegger: «Der grösste Teil beinhaltet Kommentare, die keine Substanz haben.» Wer also bei der NZZ schreibt «Super, toll so.», der wird gar nicht erst publiziert. Rund zwanzig Prozent müssten gelöscht werden, weil sie anonym oder nur mit Kürzeln versehen seien. Und sogar Postings mit zu vielen Schreibfehlern werden nicht akzeptiert. Interessanterweise werden auch fremdsprachige Beiträge publiziert – nachdem sie von einer sprachkundigen Person intern gegengelesen sind. Nur knapp zehn Prozent sind sexistisch oder rassistisch, fallen also in die sonst übliche Löschkategorie.

NZZ Online will also Kommentare, die möglichs nahe ans eigene journalistische Niveau kommen. Ähnlich wie im selektiven Umgang mit der Publikation von Leserbriefen. Urs Holderegger «Manchmal findet die Leserbrief-Redaktion, dass wir im Online-Bereich immer noch zu viel durchlassen.» Ein Problem stellt sich durch die sich abwechselnden Abnahmeredaktoren: Nicht alle reagieren genau gleich. So kann also mal ein Kommentator nicht durchkommen und sich über einen ähnlichen, freigeschalteten Beiträg ärgern.

Kürzer, weniger überlegt – und manchmal hochklassig
Im Unterschied zu den Leserbriefen sieht die NZZ in den Online-Kommentaren eher kürzere, emotionalere und weniger überlegte Texte. Die maximale Texteingabe, die man im Moment bei der NZZ noch kennt, soll aufgehoben werden. Sie werde selten erreicht – und dann halt einfach mit mehrfachen Kommentareingaben umgangen. Aber dies sehr selten.

Gerade in Wissenschaftsartikeln und im Finanzbereich hätten sie sehr interessante Kommentatoren aus Wirtschaft und von Universitäten. In zwei Fällen seien auf dem Kommentarweg Insiderinformationen eingegangen – zu UBS und zur Post. Die Schreibenden hätten auch via E-Mail angekündigt, dass sie unter fiktivem Namen über die Kommentarfunktion reagieren würden. Das hätte man dann natürlich auch akzeptiert.

Höhere Leserbindung, höherer Aufwand
Als Vorteile sieht die NZZ bis heute vor allem eine höhere Online-Leserbindung. Auch wenn sie sich noch nicht mit ganz harten Statistiken messen lässt – auf alle Fälle sind die Visits seit Einführung gestiegen. Und gleichzeitig kann die Redaktion aufgrund der Echos auf Trends und Leserwünsche reagieren. «In einem Fall haben wir aufgrund von Kommentarnachfragen aus einer übernommenen Agenturmeldung einen grösseren, breiter recherchierten Eigenartikel verfasst.»

Der grösste Nachteil liegt im grossen Redaktionsaufwand – kurz vor den Wahlen waren es in Spitzenzeiten zwei bis drei Stunden pro Tag für das Lesen und Freischalten von Kommentaren.

Kommentare werden übrigens nie beantwortet. Und zwar einzig aus Ressourcengründen. Schade, das ist dann aber auch wieder eher Einweg-Kommunikation.

Eine Strategie für Gewinner
Ich finden den Ansatz von NZZ Online interessant – weil eine Strategie dahinter steht. Man geht aus einer klaren Überzeugung einen eigenen Weg. Dabei hätte der Vergleich mit verschiedenen anderen Online-Zeitungen dazu geführt, dass man auf keinen Fall den ganz offenen Kommentardialog eingehen wolle.

Trotzdem finde ich den jetzt gewählten Weg zu eng. Da kann nicht wirklich eine Leserbindung entstehen. Auch ist der Dialog beim Eingeben eines Kommentars für mich seltsam: Erst bekommt man eine Systemmeldung, dass die Eingabe im System drin sei. Hier könnte gleich stehen, dass sie freigeschaltet werden muss (und nur vielleicht auch wirklich wird). Dann kommt eine E-Mail, man würde den Kommentar anschauen. Dann kommt nichts mehr. Manchmal erscheint das, was man eingegeben hat, manchmal nicht. Erst jetzt weiss ich, welche Kriterien dahinter stehen.

Wer also bei NZZ Online mit einem Kommentar durchkommt, darf schon ein wenig stolz sein.

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