Journalismus 2.0: Runter mit der Rendite, rein in Multimedia

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photographWohin führt das Web den Journalismus? In die Verdammnis der überall gleichen, seichten Inhalte gratis verteilt über den weltumspannenden Jekami-Kanal? Gedanken über Rendite, einzigartige Inhalte und Empfehlungen eines Qualitäts-Journalisten.

Schon vor elf Jahren hat die Zukunftsforscherin Esther Dyson in ihrem Buch «Release 2.0» (was für ein weitsichtiger Titel…) geschrieben: «Für Inhalte im Internet wird man nie Geld verlangen können. Das Angebot ist zu gross, die Nachfrage viel zu klein. Geld verdient nur, wer mit dem Internet seine Kosten senkt.» Damals war ich für Verlage anderer Meinung: Ich dachte, dass sich Bezahl-Modelle für sehr gute Inhalte durchsetzen werden – und jetzt sind von Wall Street Journal bis Spiegel Online selbst die Archive gratis einsehbar.

Alle Verleger stehen vor der Herausforderung, Inhalte so zu generieren, dass die Kosten für Erarbeitung, Produktion und Distribution wieder hereingespielt werden – in erster Linie durch Werbung, am Rande durch Abonnenten und in einigen Fällen durch Subventionen. Das Web verschärft die Problematik durch

  • den sehr einfachen Netz-Zugang (mehr Konkurrenten, neue Player),
  • die kostenlose Distribution,
  • den erhöhten Aktualitätszwang und
  • den Kampf um Aufmerksamkeit – in Echtzeit, gesteuert durch Suchmaschinen.

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung sieht Robert Rosenthal, Geschäftsführer des «Center for Investigative Reporting» nur eine Chance für weiterhin hohe journalistische Qualität: Runter mit den Rendite-Erwartungen. Rosenthal kann über sein von Stiftungen getragenes Center Recherchen finanzieren, die zu Beiträgen in TV, Print, Radio und Web führen. Hier die aus meiner Sicht interessanteste Passage aus dem Original-Interview.

sueddeutsche.de: Sie haben fast vier Jahrzehnte im Qualitätsjournalismus auf dem Buckel. Wie können journalistische Prinzipien im Umfeld des Web 2.0 heute noch überleben?

Rosenthal: Ich glaube, dass der Qualitätsjournalismus die Web-2.0-Generation im Prinzip nicht weniger interessiert als frühere Generationen – in Zukunft sogar eher mehr. Das Problem ist nur, dass viele Jugendliche ein Misstrauen gegen Medienkonzerne entwickelt haben, was an einem fehlenden Bewusstsein für deren Wesen und Strukturen liegt. Man kann es ihnen aber nicht verdenken: Die weltweit größten Nachrichten-Sites haben ohnehin alle dieselben Inhalte. Es werden sich jedoch neue Modelle finden, die wieder mehr Einfluss auf dieses Publikum haben – sofern unsere Arbeit deren Alltagsleben berührt und von ihnen als relevant und angemessen empfunden wird. Das CIR bemüht sich daher sehr um interaktive Anwendungen, weil diese für die Web-2.0-Generation einen Stellenwert haben wie für unsere Eltern einst die Zeitung.

sueddeutsche.de: Wie können Qualitätszeitungen wie The New York Times, The Guardian oder Süddeutsche Zeitung am besten mit ihrer unsicheren Zukunft fertig werden?

Rosenthal: Sie werden nur überleben, wenn ihre Geldgeber die Gewinnerwartungen zurückschrauben und sich noch geschickter und schneller in der multimedialen Welt zurechtfinden. Ihre größte Herausforderung wird es sein, die Aktionäre oder Besitzer bei Laune zu halten, wenn die Profite wegen der außergewöhnlich hohen Fixkosten, die der herkömmliche Vertrieb einer Zeitung verschlingt, zurückgehen. Inhalte, vor allem einzigartige Inhalte, bleiben wertvoll. Die Frage ist nur, ob die Qualitätspresse diese Einzigartigkeit auch weiterhin leisten kann.

sueddeutsche.de: Was halten Sie von Stiftungen oder staatlichen Zuwendungen als letzter rettender Strohalm für gedruckte Zeitungen?

Rosenthal: Ich glaube, dass wir um stiftungsbasierte Modelle zur Finanzierung der Presse künftig nicht herum kommen. Aber selbst dann wird die auf Papier gedruckte Zeitung nicht mehr der Hauptvertriebsweg sein. Ich halte staatlich unterstützte Zeitungen ohnehin für Teufelszeug: Jede öffentlich finanzierte Nachrichtenredaktion bekäme sofort Glaubwürdigkeitsprobleme. Wir müssen uns einfach damit abfinden, dass Zeitungen weiter schrumpfen oder sogar sterben werden. Aber uns Journalisten wird es immer geben, nur müssen wir ein neues Zuhause für unsere Kreativität, Hingabe und Arbeit finden. Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingt.

Ich denke, es gibt Plätze im Markt für News, die sind nur mit Qualität zu halten. Weil dort ein Publikum sitzt, das entsprechende Erwartungen hat. Und dass es dort Raum für Renditen hat. Werden sie weniger hoch sein als im klassischen Printjournalismus? Vielleicht. Willkommen im steten Fluss der Geschäftsmodelle, wo werden wir in fünf Jahren sein?

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