Nestlé, Greenpeace und Facebook: Lernen aus der Krise

Greenpeace gegen Kitkat: Ein böses Video, Orang-Utans und Urwald sind der Mix, den Nestlé zu neuen Palmöl-Lieferanten bringen soll. Eine Social Media Krise mit vorerst drei Lernsätzen.
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«Märkte sind Gespräche» definiert das Cluetrain Manifest schon 1999. Die Idee einer Öffnung des Dialogs im Internet, weg von den üblichen Publikationsmonopolen, hat seine Vorteile und seine Tücken.  «Erst mal Zuhören» lautet der erste Tipp aller Social Media Berater – das braucht Nerven, wenn man so zugeschrien wird, wie Nestlé in den letzten Wochen.

Greenpeace: Sympathieträger mit integraler Strategie
Auf der einen Seite steht David, seine Steinschleuder heisst virale Kampagne. Das Video dazu verleiht dem Kitkat-Werbespot ein unappetitliches Ende. Es ist eingebunden auf YouTube, mehreren Greenpeace- und einer Kampagnen-Seite. Mit den Codes für die schnelle Weiterleitung oder das Einbetten auf allen Social Media. Als die Websites stehen, folgen Facebook und Twitter. Die Botschaft: Nestlé kauft Palmöl von einem Lieferanten, der Indonesiens Urwald rodet. Der schnelle Ausbau von Palm-Anbauflächen tötet dort lebende Orang-Utans.

Nestlé: Goliath verlangt Gesprächsregeln
Auf der anderen Seite steht ein Weltkonzern als ideale Projektions- und Angriffsfläche. Nestlés Frage-/Antwort-Sammlung zeigt, dass das Unternehmen gar kein Palmöl vom kritisierten Produzenten bezieht. Greenpeace sagt, dass einfach ein Zwischenhändler eingeschaltet werde. Nestlé sagt, dass sie bis 2015 alles Palmöl von «zertifiziert nachhaltigen Lieferanten» beziehen wollen – noch sei auf dem Weltmarkt zu wenig von dieser Qualität verfügbar. Nestlé kauft 0.7 Prozent der Weltproduktion.

Nestlé beruft sich auf Regeln. Zuerst lässt man das Video auf YouTube entfernen, wegen Verletzung der Urheberrechte. Für Daniela Montalto, Greenpeace Forest Campaign Head, war das der Wendepunkt: «Internet-Nutzer waren empört und haben begonnen, das Video in ihrem Netzwerk und auf anderen Plattformen zu verteilen.» (Interview mit France 24, 2.4.2010.) Die Protestwelle wächst.

Die Zahl der Facebook-Fans steigt auf über 90’000 – und die Pinnwand ist voll von Links und mehrheitlich gehässigen Texten. Das Social Media Team reagiert gereizt, wenn Fans als Profilbild ein verändertes Nestlé-Logo verwenden. Zum Beispiel «Killer» statt «Kitkat», wie man es auch von der britischen Greenpeace-Seite runterziehen kann. Einmal wird der Nestlé-Administrator auf Facebook zu ruppig, was zu einem erneuten Anschwellen des Protests führt – die Details der Auseinandersetzung auf Social Media Influence.

Social Media Krise: Viel zu lernen
Märkte sind Dialoge – die Menge auf Facebook und Twitter schreit. Wer es wagt, KitKat zu mögen, wird als Sympathisant zugedeckt. Die Facebook-Moderation entschuldigt sich etwas später für den Eclat rund um Kommentare und Logos mit der Bemerkung, «Wir haben noch viel zu lernen». Nestlé verabschiedet sich für einige Tage aus der Diskussion – und wird dann doch irgendwie vermisst. Die Pinnwand sieht immer schlimmer aus, bis sie über Ostern aufgeräumt wird: Fans können keine Links und Videos mehr posten und die Kommentare werden in einem Fenster gesammelt, das man erst aufmachen muss.

facebook nestle und kitkat seiten

Was lässt sich aus der Geschichte grundsätzlich lernen?

1. Der Angegriffene hat nie Recht: Es ist sehr unangenehm für ein Unternehmen und alle Mitarbeitenden, so am Pranger zu stehen. Der Angreifer hat einen Überraschungsvorteil, aus der Defensive kann man keine Regeln setzen. Während Greenpeace die Strategie definiert hat, muss Nestlé sich erst mal orientieren. Wobei die Sympathiepunkte von Beginn weg ungleichmässig verteilt sind.
2. Taten sind wichtiger als Worte:
Die Beschleunigungs- und Multiplikationseffekte von Social Media führen die öffentliche Diskussion auf eine neue Ebene. Trotzdem zählen am Ende des Tages die konkreten Taten. Mir erscheinen die von Nestlé dokumentierten Schritte nachhaltig. Obwohl im Hin und Her der Argumente noch keine wirkliche Übersicht möglich ist.
3. Worte brauchen eine Stimme: Wer sich als Unternehmen im öffentlichen Dialog exponiert, braucht eine starke Stimme. Auf der eigenen Website und – entsprechende Ressourcen vorausgesetzt – auf Sozialen Netzwerken. Der Aufwand für gut gemachte Inhalte, das Lesen und Beantworten von Kommentaren, das Sicherstellen von hoher Präsenz in Krisen verlangt ein sehr hohes, konstantes Engagement.

Wer sich als Unternehmen sagt: Nein, das lass ich lieber – der wird besucht. Die oben rechts abgebildete inoffizielle Kitkat-Facebook-Seite zählt 767’000 Fans. Die von Nestlé klinisch rein gehaltene Kitkat-UK-Facebook-Seite versammelt 128’000.

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