Ringier mit «the collection»: Mehr TV als Lesen?

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Gestern präsentierte Ringier sein neues Tablet-Magazin «the collection». Die erste Ausgabe ist Prinz William gewidmet und verbindet lange Artikel mit Filmen, Wetten und Animationen. Machen Tablets nun auch das Lesen zum interaktiven TV-Game?

Aktualisierung: Am 20. September stellt Ringier das Projekt ein – weil zu wenige Interessenten für den Inhalt bezahlen wollten. Die Fortsetzung soll nur noch mit gekauften / gesponsorten Tablet-Magazinen erfolgen – alle Fakten dazu von Nick Lüthi in der Medienwoche: «Ringiers iPad-Magazin am Ende.»

Die Umsetzung ist gelungen – auch wenn die Verbindung von Comic, 3D-Animation und Hintergrund-Artikeln von 20’000 Zeichen Länge gewöhnungsbedürftig ist. Vielleicht ist es genau das, was sich Tablet-Besitzer wünschen?

Von den News zur Monothematik
Ein aktuelle Analyse des Daily, dem iPad-Nachrichtenmagazin von Murdoch’s News Corporation, zeigt, dass Tablets vor allem ausserhalb der Bürozeiten genutzt werden. Das Nieman Journalism Lab kommt dabei zum Schluss, dass sich für iPads & Co. eher unterhaltsame Inhalte eignen, die in der Freizeit konsumiert werden.

Auch «the collection» orientierte sich in den ersten Konzeptideen an Nachrichten. Vor etwas mehr als einem Jahr trafen sich ein Team rund um den heutigen Magazin-CEO Thomas Trüb und Chefredaktor Peter Hossli, um ein reines Tablet-Angebot zu entwickeln. «Beim zweiten Workshop in Korsika wurde klar: Tägliche News kann man nicht exklusiv für eine Plattform entwickeln, das ist zu aufwändig. Thomas Trüb war der erste, der sich klar für ein monothematisches Magazin einsetzte.» Noch 2010 wurden zwei Prototypen programmiert. Am ersten Januar startete das Team zwischen Zürich, Lausanne und Ho-Chi-Min-Stadt durch, seit gestern ist die erste Ausgabe für CHF 5.50 in Deutsch, Englisch und Chinesisch abrufbar. In diesem Preis sind spätere Update zur gekauften Ausgabe enthalten.

Eher für Couch-Surfer
Das Thema der ersten Ausgabe positioniert «the collection» in Richtung Schweizer Illustrierte. Prinz William wird zum Hoffnungsträger der Monarchie, der sich zwischen Kindheit, Armeeeinsatz, Sport und Kate in allen Facetten ergründen lässt. Auf die 250 Megabyte wartet man je nach WLAN nicht viel länger als auf eine Sonntagszeitung oder NZZ. Die Gesamtübersicht der Inhalte fällt schwer – es warten drei Kapitel mit zahlreichen Aufhängern – oft wird erst nach dem Klick klar, ob man ein Spiel oder einen Artikel gefunden hat. Mit der Zeit entdeckt man das Aufklappmenu unten rechts fürs schnelle Navigieren durch alle Inhalte. Trotzdem: Für Schnell-Leser ist the collection nichts, eher für Entdeckungsfreudige Couch-Surfer.

Internationales Grossprojekt
Ringier hat ein ambitiöses Unterfangen professionell angepackt.  Und dabei das ganze Design und den Löwenanteil der Programmierung inhouse abgedeckt. Nach Evaluation von HTML5 und dem verbreiteten Crossmedia-CMS Woodwing entschied man sich für ein Ringier-internes CMS. Im zweiten Quartal 2011 soll eine Android-Version live gehen. Erscheinen soll «the collection» jeden Monat, geplant sind weitere Sprachversionen.

Das Impressum listet 25 Mitarbeitende für Redaktion, Animation und Programmierung. Und Peter Hossli sucht noch Leute: «Es ist anspruchsvoll Profis zu finden, die sich für Multimedia-Umsetzungen begeistern.»

Rendite auch durch Werbung
Zu Investitionen und Zielen äussert sich Ringier nicht. Dass es rentieren soll, ist klar – davon hänge schliesslich auch sein Lohn ab, sagt Hossli. «Wenn wir mehrere 10’000 Apps an die für 2011 prognostizierten 30 Millionen Tablet-Leser absetzen können, dann ist das ein sehr schöner Erfolg. Ringier will sich mit dieser Initiative einen Platz im neuen Tablet-Markt für journalistische Inhalte sichern. Hier entwickelt sich sehr viel Dynamik, und daran wollen wir teilhaben.» Gleichzeitig erarbeitet sich der Verlag wertvolles Know-how. Das man auch an Dritte weitergeben kann, wenn zum Beispiel ein Unternehmen ein Tablet-Magazin auf die Beine stellen will.

Weil das Projekt geheim gehalten wurde, gibt es erst einen Werbepartner: Schweiz Tourismus grüsst mit einer anlickbaren Video-Sequenz. Schade aber, dass dort wo am Schluss steht «Buchen Sie jetzt unter …» kein direkter Link ins Web möglich ist.

Schnell das Wichtigste – oder lieber Spielen?
Im Mai wird’s dann sachlicher: «Reproduktion – das globale Baby» wird zeigen, wie das Redaktionsteam aufwändige Recherche mit spielerischer Animation verbindet. Bei der William-Ausgabe ist der Spieltrieb des Teams sehr sichtbar – wollen Tablet-Leser wirklich Hochzeits-Gäste in Second-Life-Grafik tanzen sehen, ein William-Comic anhören oder die königliche Familie im Panic Room besuchen?

Ist das der neue Multimedia-Journalismus? Wird Lesen zum Fernsehen? Vielleicht sind das Fragen, die sich nur (Papier-)Zeitungsleser stellen – ich habe sie Peter Hossli gestellt – im Interview mit Kurzvideo.

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