Umweltaktivist gegen Mammut: Angriff am Gipfel

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Der Schweizer Outdoor-Ausrüster Mammut sicherte sich diesen August einen Platz in der Geschichte der Schweizer-Shitstorm-Beispiele. Wie lief die Geschichte ab? Was sind die Learnings für Social-Media-Dialoge unter Stress?

Es war ein Kampf von David gegen Mammut. Oder besser: Andreas Freimüller, Geschäftsleiter des Campaigning-Dienstleisters Kampaweb, gegen ein Unternehmen, das einen Angriff aus genau dieser Ecke überhaupt nicht erwartete. Denn schliesslich hatte sich der Ausrüster vorbildlich für faire Produktion engagiert und via myClimate CO2-Kompensation der Seilproduktion in der Schweiz getätigt. Dass man auf der vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse publizierten Liste der Gegner eines schärferen CO2-Gesetzes stand, war Mammut nicht wirklich bewusst.  Doch der Reihe nach – dieser erste Teil unserer Aufarbeitung zeigt die Chronologie eines Angriffs, der bewusst die Natur ins Spiel bringt. Der zweite Teil bringt ein Interview mit Mammut.

Wie kam das Mammut auf die Liste?
Als Dominik Ryser (Xing), Social Media Manager bei Mammut (Website, Facebook), am Montagmorgen, 22. August, 09.56 den ersten Facebook-Eintrag von Andreas Freimüller las, wusste er noch nicht, was alles kommen würde. Freimüller versteht sein Metier, ist Online und mit Medien vernetzt. Und er hat sich ein Ziel ausgesucht, das in Umweltfragen verletzlich ist. Innert kürzester Zeit folgten zahlreiche weitere Pinnwand-Einträge aus seinem Kampaweb-Netzwerk und darüber hinaus.

Kurze Entscheidungswege ermöglichen ein Sofortmeeting mit der Geschäftsleitung, der Leitung Marketing Communications und dem Corporate-Responsability-Team. Es lässt sich in diesem Kreis nicht schlüssig eruieren, wie die Unterstützung der Economiesuisse-Kampagne gegen härtere CO2-Vorschriften zustande kam. Mammut-CEO Rolf G. Schmid hat ein Mandat als Vertreter des Schweizerischen Textilverbands im Vorstand der Economiesuisse, sein Unternehmen gehört zur börsenkotierten Conzzeta Holding.

Um 14.30 antwortet Dominik Ryser erstmals auf Freimüllers-Eintrag. Mit einem langen, gewundenen Text – der zeigt, dass Unsicherheiten bestehen. Die natürlich auch gleich angegriffen werden.

Die Welle steigt an – bis zum Rückzug
In der Zwischenzeit läuft die Diskussion auf der Pinnwand schon heiss, sie ist vorwiegend negativ und angriffig. Dominik Ryser reagiert fleissig – und kopiert dabei hin und wieder den ersten, langatmigen, PR-lastigen Text als Antwort ein. Bereits sind die ersten Anfragen von Online-Medien bei der Pressestelle eingegangen.

Doch die Welle wird sich am nächsten Tag legen – noch am Dienstagmorgen kontaktiert Mammut den Wirtschaftsdachverband und bittet um einen Rückzug von der Kampagne samt Webliste. Nachdem der Eintrag dort gestrichen ist, meldet Dominik Ryser diesen Entscheid als Facebook-Notiz, um 11.12:

Intern wurde sehr schnell klar, dass sich die Position nicht halten lässt und keine strategische Bedeutung besitzt. Sie widerspricht der bisherigen Haltung und Kommunikation punkto Nachhaltigkeit. Vife Facebook- und Twitter-Follower hatten schon vor dieser Notiz gesehen und verbreitet, dass Mammut nicht mehr auf der Economiesuisse-Liste steht. Der Wind dreht sofort, wie diese Auswertung der positiven und negativen Kommentare vor und nach Rückzug zeigt:

Die Geschichte fand nach diesem schnellen Facebook-Auf-und-Ab noch intensiven Nachklang in Online- und Printartikeln.

Grosse Dynamik, aktiver Dialog, schwache Begründung
Aus meiner Sicht sind bei diesem Verlauf folgende Punkte bemerkenswert:

  • Schneller Angriff: Die Dynamik der Entrüstungswelle ist ausserordentlich. Sie beginnt mit der guten Vernetzung des Angreifers im Umweltbereich. Damit war schnell eine Online-Reichweite erreicht und das Thema war so «heiss», dass Mammut-Kunden schnell aufsprangen. Die Personalisierung der Kampagne auf Andreas Freimüller macht sie für ihn und für Medien interessanter.
  • Aktiver Dialog: Mammut hat sich von Beginn weg stark engagiert und hat auch bei grosser Entrüstung nicht aufgegeben, wie der weisse Balken in der Grafik oben zeigt. In anderen Fällen wird die «Facebook-Filiale» bei kritischem Ansturm schnell mal verlassen. Einziger Ausrutscher ist das Kopieren einer langfädigen Standard-Antwort.
  • Nicht nur reden, auch handeln: Mammut schafft schnell den Schritt vom Dialog zur Tat. Die Begründung verunsichert: «Keine strategische Bedeutung… sind mal angefragt worden…». Ich hoffe, das Unternehmen fällt seine Erst-Entscheide bewusster als in diesem Fall.

Im nächsten Beitrag erläutert Dominik Ryser im Interview, was Social Media, Marketing, Corporate Social Responsability, interne und externe Kommunikation aus diesem Ablauf gelernt haben.

Krisen-Artikel und -Beispiele im bernetblog:
Krisen-Kommunikation und Social Media: Ganz schnell ruhig bleiben!
Im Auge des Shitstorm: Das Reaktions-Diagramm
Wie spricht man auf Facebook? PostFinance und PayPal in der Krise.
Social Media Gipfel: Swiss Air Lines und die Vulkankrise
Nestlé, Greenpeace und Facebook: Lernen aus der Krise

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Beiträge

  • hallo Marcel
    Toller Rückblick zu einem interessanten Fall, der anders als bspw. Pril eine gute Kommunikation als Grundlage hatte. Ich freu mich darauf, diese Woche noch zusammen mit Dominik in der Podiumsdiskussion http://imkforum.wordpress.com (meiner Studenten in Chur) und natürlich im nächsten Post noch mehr Hintergründe zu erfahren. Ich bleib dabei, dass er das ordentlich gestemmt hat und dass ein Blog in diesem Fall von Vorteil gewesen wäre. Auch um dauerhaft das Statement von Mammut via google auffindbar anzubieten.

  • Nun stellt sich für mich die Frage nach dem Motiv von Andreas Freimüller. Als „ehemaliger Greenpeacecampaigner“, wie er sich selber nennt, müsste er über das nachhaltige Engagement von Mammut erfreut gewesen sein. Als Kenner der Branche, muss er auch bestens über die Bemühungen von Mammut informiert gewesen sein. Weshalb also der gezielte und systematische Angriff auf Mammut? Aus purem Eigennutz um sich als Person, aber auch Kampaweb GmbH, ins Rampenlicht zu bringen?
    Ich finde dieses vorgehen äusserst fragwürdig und verwerflich. Ich würde nach diesem Vorfall mit Kapaweb GmbH nichts zu tun haben wollen.

  • @su: Stimmt. Aber auch die Website hätte sich geeignet für stärkeres Einbinden der Position – da hätte ich im Interivew (https://bernet.ch/blog/2011/11/30/im-auge-des-shitstorms-was-mammut-gelernt-hat/) nachfragen können. Vielleicht wollte man die Sache auf die Facebook-Pinnwand beschränken. Denn die Website ist sehr international ausgerichtet; viele deutsche Kunden zum Beispiel haben den Schweizer CO2-Sturm überhaupt nicht begriffen.

    @matias: Diese Frage kann Andreas Freimüller nur selbst beantworten. Für mich ist klar, dass gerade die Spannung von Umwelt-Engagement, «Natur-Produkten» und Economiesuisse-Liste Mammut zum verletzlichsten Opfer gemacht hat. Deshalb der gewiefte Angriff genau hier.

  • Es gibt verschiedenen Motive, so etwas zu tun:
    1: „empowerment“, wenn andere Menschen sehen, was man als einzelner anstossen kann, was man als Gruppe erreichen kann, dann ist das Motivation für andere, Mut zu zeigen und einzutreten für das was einem wichtig ist. Für mich ist das sehr wichtig. Ein Beispiel: Nicole Seitz, eine schon beim Thema CO2 sehr aktive junge Frau aus Zürich hat vor einigen Wochen das Thema „Ökostrom für die ETH“ lanciert, und hat auch viel Unterstützung für ihr Anliegen mobilisieren können. Ich wünsche mir, dass noch viele andere Menschen sich durch Geschichten wie die von CO2.ch/Mammut ermutigt fühlen und dass dadurch Veränderung möglich wird.
    2: Ärger: ich engagiere mich seit über 20 Jahren für Umweltanliegen. Seither erlebe ich immer wieder, wie Wirtschaftsverbände berechtigte Anliegen nur dank ihrer Finanzkraft wegdrücken können. Der Fall der CO2-Liste war ein typischer Fall für diese Vorgehensweise, wo, für ein paar Franken mehr im Aktionärs- oder Unternehmerportemonnaie, übergeordnete Interessen vernachlässigt werden.
    3: Taktik: Wie Marcel richtig sagt, war Mammut eine taktische Wahl, weil da die Spannung am grössten war zwischen Sein und Schein. Nur diese grosse Spannung macht den Konflikt emotional genug, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Mit der Erdöl- oder Gasvereinigung anzufangen wäre hoffnungslos gewesen.
    4: Ich hätte übrigens nie gedacht, dass die von mir angeschobene Kampagne gegen die CO2-Liste so viel Unterstützung und Erfolg haben würde, die Aufmerksamkeit, die mir (und dadurch auch Kampaweb) zukam, kommt unter anderem auch daher, dass sich kaum jemand vorstellen kann, dass ein Mensch einfach so ein solche Kampagne führt. Bei den vielen Telefongesprächen die ich während der Kampagne mit auf CO2.ch gelisteten Unternehmen und Verbänden geführt habe, wurde ich wiederholt gefragt in wessen Namen ich anrufe. Meine Antwort „in meinem Namen, als Privatmann“ hat immer wieder zu grossem Erstaunen und Unverständnis geführt.

    Es war nie das Ziel, Mammut zu schaden, durch das relativ schnelle Handeln hat Mammut auch keinen Schaden genommen. Wie der Beitrag von Marcel zeigt, haben die positiven Kommentare nach der Wende rasch überwogen.
    5: Die Betrachtung des Mammut-Falles für sich alleine ist interessant und aussagekräftig. Aus meiner Sicht darf die Angelegenheit aber nicht ohne den Kontext betrachtet werden. Mammut war nur ein wichtiger Stein im Mosaik. Sunrise, Swiss Life, der Versicherungsverband, Economiesuisse sind weitere, die eine grössere Rolle spielten. Das Ziel, die scheinbare Einheit der Wirtschaftsverbände in der CO2-Debatte zu durchbrechen wurde nach meine Ermessen durch die teils aufeinander folgenden, teils parallel laufenden Teilkampagnen erreicht.

  • „Andreas Freimüller ging es darum, die Unternehmen dazu zu bewegen, sich von der CO2-Liste zu distanzieren.“

    Das kann ja wohl nicht ernst gemeint sein. In Anbetracht des Engagements vom Mammut im Bereich Umwelt und „Social-Media“, muss davon ausgegangen werden, dass es ein Leichtes gewesen wäre, Mammut im direkten Kontakt dazu zu bewegen, sich von dieser Liste zu distanzieren. Die schnelle Reaktion von Mammut in nur 2 Tagen bekräftigt mich in dieser Annahme.

    Wenn es Freimüller, bei den Dingen die er tut, tatsächlich um die Sache ginge, hätte er die Angelegenheit mit Mammut anders anpacken können. Stattdessen entscheidet er sich dazu, ein, allem Anschein nach vorbildliches, Unternehmen massiv und systematisch zu attackieren. Ungerechtfertigt, wie sich jetzt herausstellt. Die Vermutung Freimüller habe ein einfaches Ziel ausgewählt, scheint einleuchtend. Ob es ein gutes Ziel im Sinne der Sache war, wage ich zu Bezweifeln. Dass er mit dieser Aktion seine Fähigkeit unter Beweis gestellt hat, komplizierte Themen Massentauglich und Medienwirksam, aber trotzdem vernünftig und differenziert zu vermitteln, bezweifle ich ebenfalls.

    Wenn ich mir die CO2 Web-Site heute anschaue, dann ist darauf keine Liste mehr zu finden. Hat Herr Freimüller also erreicht, dass sich die angeblich „207 Branchen, Verbände und Firmen“ jetzt anonym, aber dennoch koordiniert gegen schärferen CO2 Gesetze stark machen? Das würde ich nicht als Erfolg bewerten.

    „So funktioniert Campaining!“: „auf Medienwirksamkeit ausgelegt“, „maximal emotionalisiert“, mit „militantem, emotionalisierendem Sprach- und Bildstil“. Alles Beschreibungen mit denen ich einen vernünftigen und nachhaltigen Umgang mit einem Thema nicht attribuieren würde. (Auf den Kampagnen-Stil der SVP treffen diese Beschreibungen jedenfalls zu.)

    Es ist nirgends ersichtlich, in welchem Interesse Freimüller und Kampaweb in dieser Sache handelten. Mein Verdacht bleibt also bestehen: Freimüller und Kampaweb handelten in eigenem Interesse, wobei das Interesse nicht dem CO2-Gesetz galt, sondern darin sich selbst ins Rampenlicht zu bringen, den eigenen Namen bekannt zu machen und sich dadurch Aufträge von dritten zu ergattern.

  • Ich kriege echte Bauchschmerzen bei solchen Witzkampagnen. Die Leute empören sich für ein paar Miuten und halten das für soziales Engagement. Zwei Wochen später kaufen sie den gleichen Müll bei einer anderen Firma, die genau so schlimm ist oder schlimmer und glauben nun, der Umwelt oder wem auch immer geholfen zu haben. Das ist Pseudoengagement at its best.

  • @matze: Emotionen zählen, diese neue Aufgeregtheit ist Teil der Social-Media-Realität. Doch man kann es nicht einfach werten. Genau so verhält es sich auch in persönlichen Statements. Wer meint es ernst? Wer schwimmt mit? Beides gibt’s, gab’s schon immer.

  • Lieber Herr Bernet,

    Sehr interessant, diesen Fall habe ich auch in meinen neuen Diplomarbeits-Beitrag zu Shitstorm Management aufgenommen (http://bit.ly/shitstorm_management ). Er ist Teil einer sechsteiligen Serie über Auslöser, Treiber und Wirkungen von Shitstorms, und folgt dem ersten Beitrag über gesellschaftliche Werte als Shitstorm Auslöser (http://bit.ly/shitstorm_ursachen).

    Viel Spaß beim Lesen – Feedback ist erwünscht, teilen wäre ebenfalls sehr nett.
    Vielen Dank und schöne Grüße aus Münster,
    Tim Ebner