Big Data: Vor lauter Sammeln das Fragen nicht vergessen

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Über Big Data werden wir in den kommenden Jahren noch viel lesen. Was können PR-Profis und Kundendienst von Amazon, ebay oder Citi lernen? Sind sie darauf vorbereitet, dass Ihre Kunden immer freiwilliger immer mehr Daten liefern – aber auch davon profitieren wollen? 

«Big Data – Deep Emotions» hatte das Gottlieb Duttweiler Institut GDI plakativ versprochen. Der Schlagzeile zum neunten Europäischen Trendtag folgten rund 250 Teilnehmende. Die Emotionen wurden beim Netzwerken bedient, Big Data lieferten nicht weniger als dreizehn Speaker. Nun sitze ich also vor meinem überfüllten, persönlichen Zettelkasten.

Am Anfang steht die Frage

Und damit sind wir mitten drin in der Herausforderung, die so alt ist wie die menschliche Sammelleidenschaft: Wozu? Je mehr man sammelt, desto drängender wird diese Frage. Ebay macht pro Sekunde 2100 USD Umsatz und sammelt täglich 50 Terrabyte an Daten, die Festplattengurus messen ihre Kapazitäten in Yottabytes.

Meine Frage vor diesem Informations-Sammel-Tag: Was bringt Big Data für Unternehmensstrategie und Kommunikation? Damit steht eine Aussage des letzten Speakers Norbert Bolz gleich am Beginn: «Big Data hat früher Informationsüberlastung geheissen. Die Kunst des Urteilens ist die Lösung dieser Herausforderung.» Hier meine Auswahl der wichtigsten Eindrücke.

Dr. Watson oder Dr. Google?

Watson hätte mir bei der Kunst des Urteilens geholfen, meint Karin Vey von IBM Research. Kognitive Systeme dieser Art können die gespeicherten Inhalte kreativer deuten, sie sollen dazu lernen und auch mit Doppeldeutigkeiten umgehen können. Nun, immerhin hat Watson in der  TV-Show Jeopardy brilliert. Vielversprechende Einsatzmöglichkeiten sieht IBM in der Medizin. Hier verdoppelt sich die Informationsmenge alle fünf Jahre: «Einen Doktor Watson wird es nie geben – aber einen kognitiven Assistenten für medizinische Datenevaluation.»

Bei meiner nächsten Konsultation wünsche ich mir wieder einen Arzt, der mich anschaut – und nicht den Bildschirm. Damit ich dann zu Hause Dr. Google fragen kann, ob der Doktor alles richtig gemacht hat. Damit sind wir mitten in der menschlichen Ambivalenz: Wir alle wollen besser informierte Entscheidungen treffen. Und werden fleissig Daten sammeln.

Die Erotik der Zahnbürste-Meilen

Genau so wie Amazon. Und weil mir da sowieso nie jemand in die Augen schaut, muss der weltweit grösste Detailhändler die Datenanalyse auf die Spitze treiben. Die aus meinen und anderen Daten kalkulierte Empfehlung ersetzt die Deep Emotion beim Schwatz im Buchladen. Jeff Bezos war vorher quantitativer Hedge Fund Manager – der Finanzbereich verwaltet mit der Medizin die grössten Zettelkästen.

Nein, diese iPhone-Hüllen mit Zahnbürste gibt es nicht - aber sie zeigen Möglichkeiten.Für Gastgeber David Bosshart gründet Unternehmenserfolg auf dem klugen Aggregieren und Automatisieren von Daten: «Wer am besten mit Kundendaten umgehen kann, gewinnt.» Das galt schon für die Papier-Gästekartei des Hoteliers. Heute erfassen wir Kunden unsere Daten gleich selbst, weit über die Online-Buchung hinaus: mit Browser-Cookies, dem Chip im Hotelschlüssel, den Geodaten des Smartphones.

Ich erfasse weder Velokilometer noch Jogging-Distanz oder Zahnbürsten-Meilen. Weil sich die Emotion eines Waldlaufs in Charts und Höhenmetern verdünisiert. Ganz anderer Meinung sind die Anhänger des Quantified-Self. Konsumenten werden noch mehr Daten erfassen, auswerten, teilen. Damit eröffnen sich neue Felder für mehr Kunden-Convenience.

Details analysieren, Muster vereinfachen

Alle diese Gerätschaften bringen uns näher zu unserer Familie. Trendguru Peter Wippermann seziert treffend: «Man fühlt sich alleine, wenn man nicht im Netz ist, nicht erkannt, nicht angesprochen, nicht vernetzt wird. Das Netzwerk wird zur Familie.» Unternehmen, Organisationen müssen ihre Leistungen und ihre Kommunikation auf dieses fluide Vernetzung ausrichten. Big Data hilft dabei, und das kann auch mal weh tun. Denn effektive Daten, so die Designerin und Verhaltensforscherin Valerie Casey, erschüttern unsere Glaubenssysteme. Mit den richtigen Analysen gelangen Unternehmen von dem, was sie glauben, zu dem was sie wissen.

ebay versucht seit 18 Jahren genau das herauszufinden. Suresh Pillai’s Team analysiert täglich Hunderte von Millionen Aktivitäten auf Zubringer-Webseiten und zweistellige Millionenzahlen auf den eigenen Websites. «Früher hat man immer auf den letzten Klick vor dem Kauf geschaut. Heute ist das grosse Ding: Schau dir den ganzen Weg an, schon vor dem Besuch auf ebay. Wo sind die Muster?» Brillant zeigt Pillai auf, dass man die detailliertesten Analysen nur dann in Taten umsetzt, wenn sie vom Chef und der Finanzabteilung verstanden werden. Also präsentiert er die Resultate in unterschiedlichen Abstraktionen, bezogen auf die Bedürfnisse der Entscheider.

Drei Tipps für Big Data Analysten

Michael Wexler will besser verstehen, was die Kunden von citibank wollen. Auch er sucht nach Verhaltensmustern, die sich in Dienstleistungen umsetzen lassen. Zum Beispiel als abonnierbare Frühwarnungen, wenn sich ein Konto Richtung Minussaldo bewegt. Oder der Vergleich von eigenen Spar- und Anlageverhalten mit aggregierten Kundendaten in ähnlichen Vermögensverhältnissen. Oder Einkaufstipps, basierend auf Kreditkarten-Daten und dem anonymisierten Vergleich von Einkäufen und Preisen.

Wexler liefert handfeste Tipps für Grossdatenverdauer:

  • Zuerst einfache Sachen analysieren, erst dann in Massendaten tauchen: «Machen Sie nicht denselben Fehler wie ich – alle Details analysieren und erst nach sechs Monaten mit etwas Umsetzbaren auftauchen.»
  • Alle Anbieter versprechen sehr flexible Systeme – wichtig ist der Fokus: Was genau wollen Sie?
  • Was Sie wollen, definiert der Kunde: Welchen zusätzlichen Nutzen können Datenerfassung und -analyse bieten?

Damit sind wir wieder beim Ziel dieses Beitrags: Liefert diese Datenerfassung und -analyse Zusatznutzen?

Weiterführend:
Big Data is great – but don’t forget Intuition, New York Times
Quantified Self Konferenz in Amsterdam, 11.-12. Mai
Bodymetrics Virtuelle Kleiderprobe: Die Vermessung des Konsumenten
Mehr Daten! Jetzt auch beim Zähneputzen!
GDI-Tagungsseite 

Artikelbild: PD A. Kohnle, Universität Heidelberg
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