Es hat Tradition: Die Medienbranche startet mit der Dreikönigstagung in das Jahr. Verleger, Journalisten und Kommunikations-Profis treffen sich zum Austausch. Dieser ist – nicht erst dieses Jahr – geprägt von der allseitigen Unsicherheit rund um die Entwicklung des Geschäfts mit Inhalten. Doch im Referat eines Zukunftsforschers steckte mehr als ein Funken Hoffnung.
Im World Trade Center Zürich Nord gab sich am 7. Januar das Who-is-Who der Schweizer Medien ein Stelldichein. Wie umgehen mit dem «grossen Rauschen»? Welche Zukunft haben Medienhäuser im digitalen Zeitalter? Stephan Sigrist, Gründer und Leiter des Think Tanks Wire erklärte in seinem Referat «warum die Datengesellschaft den Menschenverstand braucht».
Nimmt uns Big Data das Denken ab?
«Big Data» ist überall – als Schlagwort, Wundermittel oder Angstmacher. Die Verknüpfung grosser Datensätze bringt Klarheit, Erkenntnisse, Prognosen. Tut sie das? Wie verlässlich? Einige Schranken bremsen die Euphorie: Wir speichern und produzieren schneller Daten, als die Prozessoren sie verarbeiten können. Der Berg gesammelter und unausgewerteter Daten wächst, das «grosse Rauschen» überfordert uns. Skepsis kommt auf, ob Technologie komplexe gesellschaftliche Systeme oder Finanzmärkte überhaupt abzubilden vermögen – kleinste Anpassungen in den Parametern verursachen völlig andere Erkenntnisse. «Big Data» bringt uns also gefühlte Transparenz und Objektivität. Trügerisch. Wir werden immer mehr profitieren von der künstlichen Intelligenz und immer mehr Fragen delegieren an Parkleitsysteme, tragbare Devices oder Empfehlungs-Algorithmen. Gleichzeitig werden wir uns im Nebel und Rauschen der Pseudo-Klarheit mit Unvorstellbarem und Irrationalem beschäftigen – abseits von Logik und Mustern. Wir werden lernen müssen, die denkende Maschine mit unserer Fantasie zu verbinden.
Die Chance: der kuratierte Datenjournalismus
Schon heute betreiben Unternehmen wie Narrative Science eine Art Datenjournalismus: Der Computer sammelt in Online-Medien und aus sozialen Netzwerken Informationen und fügt sie zu einem beschreibenden Text zusammen (Beschreibung davon in der FAZ). Anwendungen dieser Art werden noch zu einer uns heute unvorstellbaren Perfektion weiter entwickelt. Auf der anderen Seite werden aber auch die irrationalen, unberechenbaren (im Wortsinn) und eben «urmenschlichen» Fähigkeiten an Bedeutung gewinnen: Phantasie, Emotion, Intuition, Verantwortungsgefühl. Der Datenjournalismus ist dann attraktiv, wenn er von Menschen kuratiert und mit Überraschungen und unerwarteten Zusammenhängen angereichert wird. Die Maschine liefert uns das Material, wir Menschen aber setzen uns in diesem datenbasierten Umfeld selber ins Zentrum, treffen die letzten Entscheidungen und übernehmen Verantwortung. Bei der Meinungsbildung werden auch künftig Meinungsführer und damit auch Journalisten Kernfunktionen wahrnehmen.
Diese und mehr Gedanken aus dem Referat von Stephan Sigrist an der Dreikönigstagung sind auch in einem äusserst lesenswerten und schön gestalteten Buch (Achtung analog!) erschienen. «Das grosse Rauschen – warum die Datengesellschaft mehr Menschenverstand braucht» ist erhältlich in der Reihe «Abstrakt» bei WIRE oder NZZLibro.
Ein Überblick über die Dreikönigstagung gibt es bei der Medienwoche unter dem Titel «Schönwetterpiloten ohne Kompass» von Nick Lüthi.
Illustration: Titelbild der erwähnten WIRE Publikation Abstrakt Nr. 12, Das grosse Rauschen…Weiterführend:
bernetblog: «Big Data – vor lauter Sammeln das Fragen nicht vergessen»
bernetblog: Berichte mit dem Schlagwort «Dreikönigstagung»