Das Newsnet von Tamedia ist eine grosse Drehscheibe für journalistische Informationen aller Art. Martin Sturzenegger ist Redaktor für das Ressort Zürich beim Tages-Anzeiger. Bis Ende September hatte er die stellvertretende Leitung News bei Newsnet inne. Er erklärt, weshalb man an dieser Position nicht an Social Media vorbeikommt, und welche Gefahren mit diesen neuen Informationsquellen verbunden sind.
Die Serie «Journalisten im Web» porträtiert Redaktorinnen und Redaktoren und ihren Alltag im Social Web im Rahmen einer qualitativen Studie von Bernet_PR und dem Institut für angewandte Medienwissenschaften IAM der ZHAW. Der Hashtag zur Studie: #jstudie.
Für Martin Sturzenegger sind Social Media unverzichtbar geworden für die journalistische Arbeit. «Die Agenturen verlieren ihr Monopol bei den Breaking News.» Deshalb sichten die Newsdesk-Journalisten ständig die Social-Media-Kanäle – allen voran Twitter – und verarbeiten sie praktisch in Echtzeit. Allerdings müssen auch diese Inhalte erst verifiziert werden. Gerade für Inhalte aus Social Media sei dies enorm wichtig. Sturzenegger: «Auch Social-Media-Inhalte aus vermeintlich verlässlichen Quellen können jederzeit missbraucht oder gehackt werden.»
Geschwindigkeit und Hintergrund
Auch wer News aus dem Social Web gewissentlich überprüft, kann man damit noch schneller sein als die Agenturen oder die Konkurrenz. Darin liegt für Sturzenegger der grosse Nutzen von Social Media. Allerdings nicht nur: «Social Media sind Lieferanten von Fakten und Gerüchten, so wie früher der Marktplatz oder die Beiz. Die Öffentlichkeit hat sich in diesen virtuellen Raum verlagert. Twitter, Facebook und andere bieten sich zudem auch als wichtige Recherchetools an.» So findet Sturzenegger auf diesen Seiten nützliche Hintergrundinfos über relevante Personen, er sieht, wer mit wem verbunden ist, und er kommt an die Kontaktdaten von Informanten. Daraus entstehen nicht nur die Breaking-News-Geschichten; Social Media sind gleichzeitig auch Ausgangspunkt für Recherchegeschichten, oder ergänzen diese mit Hintergrund und Perspektive.
Privates und Berufliches verschmelzen
Social Media sind für Sturzenegger auch Plattformen, auf denen er selbst neue Leser erreichen kann. Vor allem Jüngere, die nicht zum Tages-Anzeiger-Stammpublikum gehörten. Zudem gebe der Austausch via Social Media auch Hinweise auf das Leserinteresse. Besonders viel Resonanz bringen eigene Standpunkte, die oft zu angeregten Diskussionen führen. Dabei lässt sich die geforderte Trennung von Journalist und Privatperson nicht mehr so genau durchsetzen, auch wenn das Unternehmen vorgibt, private Ansichten auch privat zu äussern. Sturzenegger ist überzeugt, dass man heute nicht mehr an Social Media vorbeikommt. «Social Media hat die öffentliche Wahrnehmung wesentlich verändert. Aufgrund ihrer Wirkungskraft ist ein sorgfältiger und gekonnter Umgang damit äusserst wichtig. Sie zu ignorieren, erscheint je länger je mehr unmöglich.»
Steckbrief
Martin Sturzenegger, 32, Ressort Zürich beim Tages-Anzeiger, Stv. Leiter Ressort News bei Newsnet (bis Ende September 2014)
- Journalist seit 2009
- Beim Tages-Anzeiger seit 2012
- Nutzt Facebook seit 2007
Gastblogger Guido Keel ist Geschäftsführer und Dozent am Insitut für angewandte Medienwissenschaften IAM an der ZHAW. Gemeinsam mit dem Team von Bernet_PR befragt er in der qualitativen Studie «Journalisten im Web» Redaktorinnen und Redaktoren zu ihrer Arbeitsweise im und mit dem Web.