Die Serie «Journalisten im Web» portraitiert Redaktorinnen und Redaktoren und ihren Alltag im Social Web im Rahmen einer qualitativen Studie von Bernet Relations und der ZHAW. Die Zusammenfassung und Auswertung der Studie erfolgt (bereits zum dritten Mal nach 2015 und 2017) im Herbst 2019. Der Hashtag zur Studie: #jstudie19.
Ein Grenzzaun in Tijuana im November 2018. Eine erste Flüchtlingswelle ist eingetroffen. Matthias Kündig ist für das Radio SRF vor Ort. Er unterhält sich mit einem mexikanischen Lokaljournalisten, als Flüchtlinge versuchen über den Zaun zu klettern. Kündig rennt los, filmt mit seinem Smartphone, wie ein paar Jugendliche den Zaun überwinden. Später wird der Clip auf den Online- und Social-Media-Kanälen des SRF zigfach angeklickt. Das Video löst Reaktionen aus. Kündig bekommt Nachrichten – auch von Bekannten, die sich seine Radiobeiträge nie anhören.
Mit den Ohren denken
Die Konvergenz hat bei SRF schon längst stattgefunden – wobei online nur publiziert werden darf, was einen Bezug zu einem Radio- oder TV-Beitrag hat. Das Online-Team setzt die Beiträge und Posts um. Journalist*innen wie Kündig liefern die Rohstoffe. «Bei meiner Arbeit für das Radio denke ich vermehrt an Video und Social Media. Manchmal ist das aber schwierig», sagt Kündig. «Du denkst dich anders in eine Geschichte hinein, je nachdem ob du Audio- oder Video-Beiträge herstellst. Du denkst quasi mit den Ohren, oder eben mit den Augen. Du kannst aber nicht beides gleichzeitig machen.»
Das Schwierigste an Social Media ist für Kündig, dass nicht mehr klar ist, wer welche Kommunikationskanäle verwendet. «Am Anfang war ich überfordert: auf Mails erhielt ich keine Antwort und telefonisch sind viele nicht erreichbar», erzählt er. Drei Dinge hat er seither gelernt: Vor dem Anrufen immer erst eine SMS schreiben. In Zentral- und Mittelamerika läuft fast alles über Whatsapp. In den USA sind die einzigen Personen, die noch auf E-Mails reagieren, Hochschulprofessoren und Menschen über 50.
New York Times als Trump-Filter
Persönlich nutzt Matthias Kündig Social Media für die Themensuche – insbesondere für die Länder Mittelamerikas. Für die Karibik findet er über Facebook oft rascher Informationen als in klassischen Medien. Aber auch Info-Mails von NGO’s sind wichtig. Ein in der Schweiz basiertes Netzwerk versorgt ihn beispielsweise mit News zu Honduras. In den USA spielt Twitter eine grosse Rolle. Kündig hat zwar einen Twitter-Account, nutzt ihn aber selten. «Man verliert viel Zeit, wenn man ständig schaut, was Trump alles rauslässt. Alles, was einigermassen relevant ist – und das ist offen gestanden nicht wahnsinnig viel – schwappt in die klassischen Medien rüber. Also lagere ich quasi diese Arbeit aus an klassische Medien wie Washington Post, New York Times oder Wall Street Journal.»
Für seine eigene Kanäle hat sich Matthias Kündig zusätzlich zu den SRF-Richtlinien zwei eigene Regeln gegeben: Er stellt seine Person nicht in den Vordergrund und er schützt seine Glaubwürdigkeit als Journalist, in dem er nicht Position bezieht. «Ich bin kein Aktivist. Einer der wichtigsten Grundsätze ist bei SRF: Wir machen uns nicht mit einer Sache gemein – auch nicht mit einer guten. Und dieser Grundsatz ist auf Social Media umso wichtiger.»
Steckbrief:
Matthias Kündig, 53
Journalist seit: 1992
Auf Facebook seit: 2011
Auf Twitter seit: 2011
Auf Instagram seit: 2013