Ein peinlicher Tippfehler in der Agenturpräsentation, die Ansprache eines Gegenübers mit dem falschen Namen, das Reissen der Hose ausgerechnet in der Betriebskantine – das Ergebnis ist in allen Fällen das gleiche: Wir schämen uns. Eng mit dem so unangenehmen wie menschlichen Gefühl der Scham verknüpft ist unser soziales Gewissen.
Scham hat Kraft
Scham ist anstrengend. Wir weichen ihr aus, versuchen sie so gut es geht zu verhindern. Darin steckt eine grosse Kraft, um unsere Gesellschaft zu verbessern. Das hat beispielsweise die Klimabewegung begriffen. Deutschsprachige Medien verwenden den Neologismus «Flugscham» noch keine zwei Jahre und doch ist er heute in weiten Teilen der Gesellschaft ein Begriff. Er gibt dem angestrebten Wertewandel des Fliegens – vom Statussymbol zur dekadenten Umweltverschmutzung – einen Namen.
Auswirkungen unserer Klicks
Um Scham zu entwickeln, braucht es Bewusstsein. Wir haben uns an ein Internet gewöhnt, das wie selbstverständlich vorhanden ist. Den Aufwand, der betrieben werden muss, um Wirtschaftsnews, Polit-Memes, und Achtsamkeits-Podcasts anzubieten, haben wir kaum vor Augen. Wer denkt beim Surfen schon an den ökologischen Fussabdruck von Rechenzentren? Gleiches gilt für die Auswirkungen, die unsere Klicks auf das Informationsangebot haben. Dazu kommt, dass einzelne Anbieter von unseren Schamgefühlen profitieren wollen. Was wir klicken, hat Auswirkungen auf die Umwelt, die Gesellschaft und wie man uns anspricht. Drei Formen von Klickscham:
1. Die ökologische Klickscham
Alles im Internet verbraucht Strom und verursacht damit Emissionen, vor allem Video-Streaming. Laut dem französischen Think Tank «The Shift Project» gingen im Jahr 2018 vier Fünftel der globalen Datenflüsse darauf zurück. Treibhausgasemissionen von Video-on-Demand-Diensten wie Netflix entsprechen denen eines Landes wie Chile. Dabei spielt es gemäss Greenpeace einen wesentlichen Grund, bei welchem Anbieter wir streamen. Die Non-Profit-Organisation hat in einer Studie untersucht, wo Streaming-Anbieter ihren Strom beziehen.
Tipps:
- Gezielter browsen und vor allem streamen
- Wenn streamen, dann via WLAN und nicht mit mobilen Daten – wer’s aushält gar in niedrigerer Auflösung
2. Die gesellschaftliche Klickscham
Das Verhältnis von Journalisten zu Klickzahlen ist ambivalent. Wollen sie ihrer gesellschaftlichen Funktion gerecht werden, dürfen sie sich nicht alleine davon leiten lassen. Andererseits wollen sie mit ihren Beiträgen ein Publikum erreichen und können deshalb nicht gänzlich ausser Acht lassen, wie viele Klicks ihre Inhalte generieren. Dazu sind die Publikumszahlen für Werbekunden relevant. Das kann noch stärker dazu verleiten, Inhalte zu produzieren, die vor allem klicken:
Journalismus wandelt sich vom Anbietermarkt zum Nachfragemarkt. Mit unseren Klicks bestimmen wir über welche Themen Medien berichten:
Tipps:
- Qualitätsjournalismus klicken statt Sensationslust stillen oder Zerstreuung suchen
- Clickbaiting erkennen und ignorieren
3. Die verleitende Klickscham
Bei diesem problematischen Trend nutzen Anbieter Scham, um Druck aufzusetzen. Sie zielen darauf ab, den Nutzer zu beschämen, damit er ein Angebot bezieht, das er eigentlich nicht will. Beispiel: Ein Online-Shop fragt in einem Pop-up: «Wollen Sie unseren Newsletter abonnieren?». Der Nutzer kann zwischen den Antwortmöglichkeiten «Ja, ich bin schlau und will profitieren.» und «Nein, ich zahle lieber zu viel.» wählen. Der Effekt dieser Methode ist umstritten. Angeblich veranlasst sie Seitenbesucher eher, die Seite ganz zu verlassen, als dem Druck nachzugeben.
Tipps:
- Als Anbieter: Auf diese Methode verzichten
- Als Besucher: Solche Methoden nicht tolerieren und die Seite verlassen
Und jetzt?
Was machen wir als verantwortungsbewusste Kommunikatorinnen und Kommunikatoren mit diesen Erkenntnissen? Ist es unter Berücksichtigung der ökologischen und gesellschaftlichen Folgen überhaupt erstrebenswert, dass viele unsere Inhalte anklicken? Wichtig ist, die Folgen nicht ausser Acht zu lassen. Wir legen unsere Kommunikationsaktivitäten nicht auf blosse Reichweite aus, sondern wir kommunizieren dort, wo es Absendern und Empfängern einen Nutzen bietet – und zwar relevant und ehrlich.
Weiterführend:
- Studie Greenpeace: Clicking Clean: Who is Winning the Race to Build a green internet?
- Projekt der Netzkünstlerin Joana Moll: Der CO2-Abdruck von Google: http://www.janavirgin.com/CO2/
- SRF: Warum es gut ist, wenn wir uns schämen: https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/lob-der-scham-warum-es-gut-ist-wenn-wir-uns-schaemen
- Bernet Blog: Spannungsfeld Klicks und Verantwortung: https://bernet.ch/blog/tag/studie-journalisten-im-web
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