Am 24. November 2024 stimmen die Zürcher*innen über die Initiative «Tschüss Genderstern» ab. Damit die Behördentexte der Stadt Zürich möglichst klar und einfach lesbar sind, sollen Sonderzeichen innerhalb einzelner Wörter verboten werden. Die Initiant*innen sind überzeugt, dass Behördentexte ohne diese Sonderzeichen verständlicher sind. (sic)
Typografische Zeichen des Anstosses
Als Kommunikationsprofis wissen wir, dass für eine klare Sprache weitaus mehr nötig ist als das Verbot von Sonderzeichen. Mit Sonderzeichen sind in diesem Zusammenhang die folgenden Zeichen gemeint: * (Gender-Stern), _ (Gender-Gap) und : (Gender-Doppelpunkt). In der gesprochenen Sprache werden diese Zeichen mit einer kleinen Pause, dem sogenannten Glottisschlag, deutlich gemacht. Dieser Glottisschlag existiert bereits in der deutschen Sprache und wir verwenden ihn tagtäglich, zum Beispiel in «Theater» oder «Spiegelei». Das ist also nichts Neues und für unser Hirn jetzt keine so unüberwindbare Hürde.
Sichtbarkeit als Voraussetzung
Um was geht es also wirklich? Die Sonderzeichen sind Ausdruck einer gendersensiblen Sprache. Sie machen deutlich, dass das Geschlechterspektrum nicht nur binär ist, sondern vielfältiger. (Das war es übrigens schon immer, das ist kein Phänomen unserer Zeit). Der Stern, der Unterstrich und der Doppelpunkt sprechen marginalisierte Gruppen in der Gesellschaft an, die in der deutschen Sprache bislang nicht sichtbar waren. Die Zeichen machen sie sichtbar und zeigen, wie vielfältig unsere Gesellschaft ist. Gerade im Kommunikationsalltag ist es sehr wichtig, sich bewusst zu sein, mit wem man kommuniziert und wen man ansprechen möchte. Als Kommunikationsprofis wissen wir aber auch, welche Macht Sprache hat, wie dynamisch sie ist. Sprache wirkt auf die Gesellschaft und umgekehrt. Inklusion statt Ausgrenzung, sichtbar statt unsichtbar. Es hat in einer Gesellschaft, in der die Machtverhältnisse klar verteilt sind, durchaus Methode, marginalisierte Gruppen unsichtbar zu halten. Unsichtbare können keine Teilhabe, keine Mitsprache und keine neue Aufteilung der Machtverhältnisse einfordern. Erst wer sichtbar ist, kann ein Stück des Kuchens verlangen. Wenn alles bleibt, wie es ist, müssen die Kuchenstücke auch nicht neu aufgeteilt werden. Wer jetzt ein Kuchenstück hat, will es nicht teilen. Das ist nachvollziehbar, aber nicht richtig.
Vorgeschobene Diskussion
Es ist somit völlig klar, dass es bei der Initiative nicht um die deutsche Sprache geht, sondern um die Zementierung der bestehenden Machtverhältnisse. Der Kampf um eine verständliche und lesbare Sprache ist vorgeschoben. In Wahrheit geht es um die Angst, die eigene Deutungshoheit in dieser Gesellschaft an marginalisierte Gruppen zu verlieren und selbst weniger sichtbar zu sein. Und obwohl die Sprache mächtig ist, mit einem Verbot von Sonderzeichen eine gesellschaftliche Entwicklung zu verhindern, ist sehr illusorisch.
Weiterführend:
- Bernet Relations ist seit Januar 2022 Mitglied des Gislerprotokolls. Für die facettenreiche Repräsentation der Geschlechter in Kommunikation, Marketing und Werbung: Das Gislerprotokoll
- Alle Beiträge im Bernetblog zum Gislerprotokoll
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