NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann äusserte sich heute Mittag an einem Vortrag zum Thema Digitale Medienrevolution. Die anwesenden Mitglieder der Swiss American Chamber of Commerce hörten interessante Ausführungen im Spannungsfeld von Journalismus, Verlagsmanagement und stetig ändernder Medienkonsumen- ten. Kann man als Verlag in der digitalen Welt noch Geld verdienen? Spillmann blieb in den meisten Punkten sehr strategisch. Auf alle Fälle sieht er auch bei der NZZ in Zukunft Redaktoren, die für Print und Online schreiben.
Markus Spillmann ist seit 2006 Chefredaktor der NZZ und gleichzeitig Vorsitzender der Geschäftsleitung. Die Veränderungen für die klassischen Printmedien schildert er als dramatisch: So seien alleine die Werbeeinnahmen in den letzten zehn Jahren bei der NZZ um rund 40 Prozent zurückgegangen. Bei gleichzeitig sinkenden Leserzahlen.
Bewundert und bemitleidet
Damit wird es eng für Newsproduzenten. Dabei stehe die NZZ noch gut da – deshalb werde sie einerseits bewundert, anderseits bemitleidet. Bewunderung erhält der klare Fokus auf Qualität. Mitleidig stellen sich viele die Frage: Kann man damit noch Geld verdienen?
Spillmann glaubt, dass die NZZ mehr Wert auf Qualität legen kann, weil sie im Vergleich zu anderen Verlagshäusern nicht in erster Linie eine reine Gewinnmaximierung anstrebt. Der Ertrag muss die Zukunft des Unternehmens sichern. Derzeit ist das Internet-Geschäft bei klassischen Verlagshäusern gekennzeichnet durch hohe Investitionen bei (noch? langfristig?) geringen Einnahmen. In der Schweiz flossen 2006 von 3.8 Milliarden Werbegeldern erst 52 Millionen ins Web – oder 1.4 Prozent, wie eine der Vortragsfolien aufzeigt.
Qualität für neue Leserbedürfnisse
Aufschlussreich waren die aufgezeigten langfristigen soziodemografischen Veränderung in der Schweiz. Besonders relevant: Die zunehmende Mobilität und die steigende Arbeitstätigkeit von Frauen. Heute liege der Schweizer Pendeldurchschnitt «interessanterweise genau bei 20 Minuten». Und die berufstätigen Frauen lassen die Zahl der Newsinteressierten mit NZZ-Affinität wenigstens ein wenig anwachsen. Denn die Jugend verabschiedet sich mehr und mehr Richtung Online und Gratisprint.
Das Stichwort Qualität fiel natürlich mehrmals, wobei Spillmanns Blick erfrischend offen bleibt: «Gratis heisst nicht: keine Qualität. Für Gratiszeitungen gelten ganz einfach andere Regeln.» Die Leser erwarten aus seiner Sicht bei der NZZ eine andere Art von Qualität. Deshalb setze sie auf einen längeren Verfeinerungsprozess bei der Aufbereitung von Nachrichten. «Nicht der Anlass per se steht im Vordergrund. Sondern genau so die Frage nach seinen Auswirkungen, Konsequenzen und die Zusammenhänge.» Für diesen Content sieht Spillmann auch in der digitalisierten Medienwelt eine Zukunft mit Ertragspotenzial. Unter der (kostspieligen) Voraussetzung, dass ein Verlagshaus heute in mehreren Kanälen präsent sei, von Print über Online bis TV.
Print und Online bedienen
Was heisst das für Medienschaffende, auch bei der NZZ? Da waren die Ausführungen sehr allgemein: Der Beruf des Redaktors werde sich drastisch wandeln. Weiterhin müsse jeder Journalist zu allererst sein Thema kennen. Und das Medium, seinen Kanal. Und nicht jeder Journalist könne auf jedem Medium die beste Leistung erbringen.
Setzt die NZZ also weiterhin auf spezialisierte Redaktionen, zum Beispiel Print und Online getrennt? «Der integrierte Newsroom wird ja weltweit diskutiert, auch bei uns sind beide Abteilungen im selben Gebäude untergebracht und die Redaktionen arbeiten zusammen. Aber hier steht noch ein weiter Weg vor uns. Es geht um Abläufe und auch um Kulturen. Mit der zunehmenden Bedeutung der Online-Kanäle werden wir nicht darum herumkommen, dass ein Print-Redaktor auch Inhalte für den Online-Bereich erstellt.»
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