Politik im Netz: Propaganda 2.0 im Nahost-Konflikt

/

youtube_aljazeeraSo schnell geht es: Noch in unserem Blogger-Portrait über SF-Korrespondent André Marty (10.11.08) beklagt sich dieser: «middle east don’t sell any longer». Dieses Blatt hat sich gewendet und André alle Hände voll zu tun. Den Journalisten vor Ort wird das Leben schwer gemacht. Lieber senden die Parteien ihre eigenen Botschaften aus – im Web 2.0.

Natürlich wundert uns seit den «Embedded Journalists» gar nichts mehr. Damals waren die Medien aber wenigstens «eingebettet». Es scheint, als sei die Info-Versorgung aus den Krisengebieten heute ein klares Monopol der Kriegsparteien. Und diese nutzen neuste Webanwendungen intensivst:

Twitter
Das Israelische Generalkonsulat in New York unterhält einen Twitterchannel. Und berichtet dort über den «Humanitarian Corridor», über Angriffe aus Gaza und über ein gerettetes Baby («Israeli & Palestinian Doctors Join Together to Save a Baby»). Auch die Gegenseite ist präsent: «Gazanews» hat allerdings andere Nachrichten: Hier tönt es nach Tod («Israel kills Dozen at UN school») und Verwüstung («Patients lying everywhere»). Allerdings hat das Konsulat einiges mehr an Followers als die Gazanews. Werden Kriege in Zukunft nach Anzahl Followers entschieden?

Blogs, Facebook, MySpace
Offensichtlich pflegt für Israel vor allem das New Yorker Konsulat das Web 2.0. Israel Politik heisst dessen Blog. Er will «die Botschaft der Hoffnung und des Friedens des Staates Israels» kommunizieren (Zitat, s. unter About). Ebenfalls vernetzt ist das Konsulat via Facebook und auf MySpace. Auf der palästinensischen Seite ist mir vor allem die «Electronic Intifada» (man beachte das gute Layout) aufgefallen und der aufschlussreiche Artikel zum Thema («Sur les blogs de Gaza…») in LeMonde.

YouTube
Das Suchwort «Gaza» liefert hunderte von YouTube-Videos mit allen politischen und ideologischen Schattierungen. Die Israelische Armee führt gar einen eigenen YouTube-Channel. Von Seiten der Hamas ist mir kein ähnlicher Auftritt bekannt (weiss jemand mehr?), Aljazeera berichtet aber auch auf mehreren YouTube-Kanälen (Link Englisch). Eins haben alle Kanäle gemein: Das Video-Kurzfutter über dieses grosse menschliche Leid ist enorm emotional aufgeladen, kaum sachlich erklärend und braucht unheimlich starke Nerven.

Bei Plattformen wie YouTube oder Twitter fragt sich, wie diese kontrolliert werden und ob (und von wem) die Zensur greift. Es ist enorm zeitaufwändig, sich durch diesen Info-Dschungel zu kämpfen und absolut unmöglich, qualitativ gutes Material zu erkennen. Surft man auf diesen Kanälen, gibt man die klassischen Journalisten-Aufgaben – Recherche, Auswahl, Urteil und Kommentar – ab und macht urmenschlichen Gefühlen Platz. Und gibt somit das Mikrofon in die Hand der Propaganda-Spezialisten.

  • Kategorien
  • Tags

Kommentieren

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Pflichtfelder

Beiträge

  • Was ist denn so Besonderes daran, dass die Militärs sich moderner Kommunikationsmittel benutzen? Das tun sie schon seit Jahrtausenden. Und wer die letzten Jahre nicht verschlafen hat, der weiss auch, dass schon seit Jahren „im Web 2.0“ Propaganda gemacht wird. Sorry, aber dieser Rummel um die „Web 2.0-Propaganda“ ist nichts weiter als das: Medienrummel. Auflagenbolzerei.

  • hallo matthias. natürlich – die kriege machen die menschen – und gerade auch in der kommunikation – immer besonders kreativ. wenn du noch andere zeitgenössische beispiele (spezifisch «kriegspropaganda») kennst, die so stark online- und social media einbinden, nähmen mich diese sehr wunder.