Journalist:innen im Web: Naomi Gregoris, Redakteurin Politik & Inland WOZ

Für Naomi Gregoris sind die sozialen Medien oft der Schlüssel zu interessanten Personen und deren Geschichten. Sie sucht dabei die Balance zwischen schneller, kanalgerecht aufbereiteter Information und nachhaltigem Impact. Auch eine gewisse Desillusionierung und Ermüdung finden Platz im Gespräch rund um Social Media im Berufsalltag.
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Die Serie «Journalist:innen im Web» porträtiert Redaktor:innen und ihren Alltag im Social Web im Rahmen einer qualitativen Studie von Bernet Relations und der ZHAW. Die Zusammenfassung und Auswertung der Studie erfolgt (bereits zum vierten Mal nach 2015, 2017 und 2019) im Frühling 2024. Der Hashtag zur Studie: #jstudie24. 

Naomi Gregoris braucht Social Media vor allem für zwei Aspekte in ihrem Beruf: für das Monitoring von Trends und Themen und bei der Recherche. Konkreter: bei der Suche nach Protagonist:innen. «Ich schreibe wenig vom Bürotisch aus, sondern bin nahe an den Menschen. Social Media spielen in den ersten Tagen, vielleicht sogar nur am allerersten Tag einer Geschichte, eine Rolle.»

Die sozialen Medien ermöglichen Naomi Gregoris den erleichterten Zugang zu potenziellen Quellen. Die Kontaktaufnahme sei dadurch oft viel niederschwelliger und schneller möglich, etwa wenn sie auf LinkedIn direkt – ohne Umweg über die Medienstelle – auf Fachpersonen zugehen könne. Nebst LinkedIn dienen Facebook und Instagram der Redakteurin Politik & Inland WOZ am meisten.

Vertrauensvorschuss dank Social Media

Auf Facebook sind es spezifische Gruppen, die Inspiration und Ideen für neue Geschichten bieten. «Dort kommen immer wieder politische Themen auf, auch wenn man es nicht erwarten würde. Ich habe dort schon oft Protagonist:innen gefunden, beispielsweise zum Thema Familienpolitik. In diesen Gruppen siehst du, was die Leute wirklich beschäftigt.» Auch hier sei die Niederschwelligkeit zentral. Als Journalistin könne sie direkt andocken und das Vertrauen zwischen ihr und (potenziellen) Protagonist:innen schneller herstellen. «Oft sitzen wir im selben Boot. Zum Beispiel habe ich in einer Gruppe für Zwillingseltern Protagonist:innen für eine Geschichte gefunden – ich bin selber Zwillingsmami. Dadurch ist viel schneller eine Vertrauensbasis da.»

Auch Instagram bietet Chancen, um ohne grossen Zeitverlust direkt an interessante Personen und deren Storys zu gelangen. So macht Naomi Gregoris manchmal Aufrufe direkt in ihren Instagram-Stories, wenn sie jemanden für einen Artikel sucht. Das sei praktisch: «Meine Follower:innen empfinde ich auch als mein Netzwerk, und das Netzwerken ist für uns Journalist:innen sehr relevant.»

Buzzwords vs. Komplexität

Und doch stellt Naomi fest, dass sich ihre anfängliche Euphorie über die Technologie, die das Leben erleichtern sollte, gewandelt hat: Social Media und Journalismus – das sei nicht immer ein guter Match. So stösst sie sich an den Strategien grosser Medienhäuser. Auch wenn weniger Inserate geschaltet werden und Leser:innen wegfallen: «Man hat sich dieser Illusion hingegeben, dass Klickzahlen Relevanz bedeuten. Und das stimmt einfach nicht.» Wenn auf der Redaktion Rankings mit den meistgeklickten Artikeln erstellt werden, dann führe das etwa dazu, dass ganze Ressorts, zum Beispiel die Kultur, gestrichen werden müssten. Zu wenig Klicks, zu wenig relevant. Diesen Ansatz findet Naomi Gregoris schwierig, denn wo bleiben dabei Diversität und Service Public im Journalismus?

Mit ihrem Wirken will die Journalistin einen nachhaltigen Effekt erzielen. Um ihre Inhalte für Social Media aufzubereiten, muss sie komplexe Themen jedoch auf «eine Kachel oder ein paar Buzzwords» reduzieren. Einerseits könne diese Informationsvermittlung via Socials dazu führen, dass mehr Personen politisiert würden – gerade wenn es um feministische Themen geht, eine durchaus positive Entwicklung. Andererseits befürchtet Naomi Gregoris, dass wir als Leserschaft so verlernen, uns wirkliches Wissen anzueignen, Kontext herzustellen oder Ambivalenzen auszuhalten. Die Aufbereitung von Informationen in kondensierter Form präge auch unser Denken: «Wahre Informationsvermittlung, tiefgreifende, die auch zu einem Verständnis für Ambivalenz führt – das ist so schwierig. Mir persönlich wäre es lieber, Menschen würden mehr Bücher lesen oder sich an Podien begegnen.»

Naomi Gregoris stellt bei sich eine gewisse Social-Media-Ermüdung fest: «Ich will nicht einfach Leute in ihren Meinungen bestärken. Ich bin da eher etwas desillusioniert, deshalb überlege ich mir, das alles hinter mir zu lassen. Ich habe oft den Eindruck, dass es nicht konstruktiv ist.»

Verflechtung von Aktivismus und Social Media

Dennoch reagiert Naomi Gregoris eigentlich immer auf Kommentare und Anfragen auf ihren Kanälen, nicht zuletzt aus Höflichkeit. Ausnahmen sind (seltene) Hass-Botschaften: «Wenn ich merke, es hat mehr mit der Person als mit dem Inhalt zu tun, dann reagiere ich eigentlich nicht. Bei feministischen Themen gibt es oft Hate von älteren Frauen, von Männern erhalte ich gar keine Kommentare. Da muss ich mich fragen, ob ich mich in diese Diskussion reingebe mit einer Person, die eine gefestigte Meinung hat und bei der ich keinen wirklichen inneren Wandel anregen kann.»

Dass Social Media Content – allen Zweifeln zum Trotz – durchaus relevant und wirkungsvoll sein kann, hat die Journalistin selber auch schon erlebt. Einer ihrer meistbeachteten Artikel, ein Beitrag über ihre Fehlgeburt, ist aufgrund eines Facebook-Posts entstanden. Im Post machte Naomi Gregoris auf ihren Podcast aufmerksam, in dem sie das Thema Fehlgeburt behandelte. Ein Thema, das sehr viele Menschen betrifft, über das medial jedoch (noch) wenig diskutiert wird. Eine Verantwortliche des Verlags, bei dem Naomi Gregoris arbeitete, hörte diese Podcastfolge. Angeregt durch den Facebook-Post, bat sie um einen Artikel zu diesem Thema.

Bei der Publikation stiess der Artikel wiederum gerade auf den Socials auf sehr grosse Resonanz: «Es war ein ziemliches Tabuthema. Ich habe gemerkt: das macht anderen Frauen Mut, das hat einen Impact. Wenn ich es auf den sozialen Medien teile, kann das anderen wirklich etwas bringen.» Und diese Resonanz war bedeutend: Die mediale Berichterstattung führte dazu, dass das Thema auch in der Politik aufgegriffen und eine Verfassungsänderung angestossen wurde.

Steckbrief

Naomi Gregoris, 35
Redakteurin Politik & Inland bei der WOZ

Journalistisch tätig seit 2012

Facebook seit ca. 10 Jahren
Instagram seit ca. 5 Jahren
LinkedIn erst seit ein paar Monaten
Twitter/X seit ca. 5 Jahren
aus Selbstschutz nicht auf TikTok

 

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