Medien und Qualität: Die NZZ will smart sein

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qualitätsjournalistAm Dienstag fand an der Uni Zürich eine erstes Gespräch der Reihe «Medien, Macht und Qualität» statt. Markus Spillmann, Chefredaktor NZZ, traf auf Otfried Jarren, Publizistikprofessor. Den gut besuchten Abend hat Casper Selg moderiert, Redaktionsleiter Echo der Zeit. Jarren wünscht der Gesellschaft Leitmedien, Spillmann will das smartere Produkt bieten.

Es war ein Bilderbuch-Herbstabend – trotzdem fanden rund 120 interessierte Zuhörer den Weg in die Uni. Um 18 Uhr wärs losgegangen, aber im Raum G17 fand noch eine Prüfung statt. Drinnen wars dann sehr eng, der sagenhafte Blick auf den Üetliberg entschädigte wohl auch die ein wenig, die keinen Sitzplatz mehr ergattern konnten. Auch die Referenten durften stehen. Vielleicht ändert sich das bei den nächsten Anlässen, hier das Programm auf NZZ Campus.

NZZ oder 20Minuten?
Werden auch die an Gratiszeitungen gewohnten Jugendlichen später für ein NZZ-Abo bezahlen? Das Video zeigt einen Ausschnitt aus Markus Spillmanns Antwort. Er sieht die Schweiz als Bildungsnation, Bildung und Wissen bleiben wichtige Faktoren. Deshalb wird es auch in Zukunft ein «smartes» Publikum geben, das sich für ein «smartes» Produkt entscheidet. Die NZZ will das smartere Produkt sein. Und das kostet etwas.

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Google als Leitmedium?
Otfried Jarren blieb über weite Strecken allgemein. Seine Kernthese: Eine funktionierende Gesellschaft braucht qualitativ hochstehende Leitmedien. «Nicht als Befehlsorgan, nicht als Versuch einer Hierarchiegestaltung, sondern als Knotenpunkte, an denen man sich zuverlässig und rasch ausrichten kann.» Der Sozialforscher sieht einen nachlassenden Bindungswillen in der Gesellschaft, volatile Wählerschaften, keine sehr stabilen sozialen Milieus. Und er glaubt, dass Medien in diesem Umfeld eine gewisse gestaltende Rolle haben. Zum Beispiel für die Orientierung: «Wo lege ich Geld sicher an?»

So wie Jarren die Funktion von Leitmedien definiert, führt er aus meiner Sicht direkt auf die sozialen Aspekte des Web 2.0 – als auch weg von zentral organisierten, aufwändig gestalteten Printmedien. Für die schnelle Orientierung einer immer mobileren Gesellschaft sehe ich auch Google als Leitmedium. Mit allen geschäftsschädigenden Folgen für die etablierten Qualitätsmedien.

Komplexe Simplifizierung
Markus Spillmann formulierte direkt, praxisbezogen und überhaupt nicht dogmatisch. Jarrens Aussage, dass Leitmedien Qualitätsmedien sein müssen, verneint er: «Als Praktiker meine ich: Schön wäre es, wenn es so wäre. Ich persönlich bin nicht überzeugt, dass Leitmedien Qualitätsmedien sein müssen. Sondern es sind Medien, die breite Aufmerksamkeit für sich gewinnen, Themen setzen, Meinungen beeinflussen.»

Interessant in der ganzen Diskussion um Qualität fand ich Spillmanns Aussage zur Komplexität: Die NZZ will Komplexität reduzieren, ohne Simplifizierung. Das ist – genau so wie dieser Satz eben – aufwendig zu schreiben und aufwendig zu lesen. Aber er ist davon überzeugt, dass es weiterhin Leserinnen und Leser geben wird, die genau das suchen.

Was ist smart? Was ist Qualität?
Der Abend hat auch in der kurzen Publikumsdiskussion gezeigt, wie weit auseinander hier die Definitionen liegen. Ich glaube, dass jede Gesellschaft die Leitmedien hat, die sie verdient. Sie sind das Resultat der Entwicklung von Angebot und Nachfrage.

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Beiträge

  • Interessant finde ich die Diskussion rund um das Thema Leitmedium=Qualitätsmedium. Auch ich bin der Meinung, dass ein Leitmedium nicht zwangsläufig ein Qualitätsmedium sein muss (oder ist). Genau wie Jarren sagt, zeichnet sich ein Leitmedium vor allem dadurch aus, dass es Agenda Setting betreiben und Meinungen steuern kann.
    Wenn wir aber von der Gegenüberstellung von Printmedien vs. Online Medien sprechen, bin ich der Meinung, dass die Zukunft der Printmedien ganz klar hin zum Qualitätsjournalismus gehen muss. Dementsprechend sieht das Informationsverhalten in Zukunft wohl so aus, dass schnelle News & Facts im Netz aufgesucht werden, sei es am Desktop oder mobil. Möchten wir aber zu einem Artikel mehr Informationen, dann lesen wir am Abend noch vertiefte, gut recherchierte Berichte darüber.

  • Mein Medienkonsum: Online News tagsüber (PC, Handy) und Hintergrundberichte am Abend (Wochenzeitungen: Die Zeit).
    Wenn ich mit Personen aus meinem Bekanntenkreis und in meiner Altersklasse spreche, klingt es immer gleich: „Ich habe keine Zeit eine Tageszeitung zu lesen.“
    Ich wage deshalb zu behaupten, dass sich Zeitungen in Zukunft nicht auf Breaking News konzentrieren dürfen.

  • es ist traurig zu sehen, wie sich ein qualitätsbrand wie der tagi online momentan in die niederungen des boulevards abstürzt. vor newsnetz hatte ich den eindruck, dass viel mehr aus dem print übernommen wurde, heute kommt nur noch diese speziell aufbereitete, aber in der qualität gedowngradete onlinesülze. schrecklich.

    die scheizer grossverlage irren sich, wenn sie meinen, dass gute und längere texte online nicht gefragt seien. das haben nun genügend andere newsseiten genügend bewiesen. und ich verstehe überhaupt nicht, warum die ihren qualitätscontent aus dem print nicht online stellen.

  • Verheerend ist geradezu die Handhabung der Kommentare auf dem News-Netz. Ich kommentiere da etwas mit Klarnamen unter dem Brand „Tages-Anzeiger“ in der google-Suche erscheint dann aber mein Kommentar 3 mal: unter tagesanzeiger, bazonline und bernerzeitung. So vergibt man sich die Chance wenigstens Online-Diskursräume auf den Printeinzugsgebiete zu modellieren. Das Kommentieren auf „News-Netz“ ist definitiv eine Tubel-Trophy. Der unmoderierte Hugo-Stamm-Blog mag das Vorbild für dies psychohygienische Bedürfnisanstalt gewesen sein.

  • „Eine funktionierende Gesellschaft braucht qualitativ hochstehende Leitmedien“. Dieser Aussage muss ich mich anschließen. Was sonst passiert, sieht man von 9 bis 20 Uhr auf den privaten TV-Sendern. Was, wenn sich aber alle von der Seriösität hin zum Boulevard wenden… Es ist ja jetzt schon kaum mehr auszuhalten.

  • in einer funktionierenden gesellschaft (wer definiert das?) wird es immer einen markt geben, der genau wie du reagiert: weg vom seichten overflow hin zu qualitativen angeboten. so, wie unsere gesellschaft grad funktioniert, geht sie immer mehr richtung seichten overflow…