Bezahlte Tageszeitungen: Das Undenkbare denken?

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img_0102_2Gestern abend habe ich an einem Podiumsgespräch am MAZ in Luzern teilgenommen. Trotz des Titels «Neue Medien braucht das Land»: Res Strehle, Jürg Weber und Sylvia Egli von Matt glauben an die Zukunft der bezahlten Tagespresse. Clay Shirky lädt dazu ein, das Gegenteil zumindest zu denken.

Der Abendanlass war sehr gut besucht, die Diskussion am Podium und mit dem Publikum anregend. Hier die für mich interessanten Punkte meiner Mit-Panelisten, ergänzt durch Auszüge aus den Gedanken von Clay Shirky, Professor an der New York University und Medienberater.

MAZ: Zehn Thesen zum Journalismus
Sylvia Egli von Matt ist MAZ-Direktorin und in verschiedenen Gremien engagiert, die sich mit der Qualität und der Zukunft des Journalismus auseinandersetzen. Ihre  zum Einstieg präsentierten Thesen: Journalismus wird multimedial-mobil-konvergent, schneller, dialogischer, segmentierter, lokaler, erzählender, visueller, erhält neue Erscheinungsformen. Schönes Praxisbeispiel des Wandels: Ein grosses dänisches Medienhaus habe einen «Media Conductor» – er steht mitten im integrierten Redaktionsraum und entscheidet, wo Geschichten gespielt werden, von Radio über Print bis Online.

LZ Medien: Regional rentabel
Jürg Weber ist Geschäftsleiter der Neue LZ AG und damit verantwortlich für diesen Zentralschweizer Verbund von Radio, TV, Print, Online. Dieser hat dank tiefer Kosten operativ auch im letzten Jahr noch sehr gut gearbeitet, wegen eines Finanzverlusts war dann das Ergebnis doch nicht so gut. Im Online-Bereich setzt er vor allem auf lokale News, eine Zusammenarbeit mit NZZ Online wird anscheinend diskutiert. zisch.ch-Inhalte werden auch auf den news1-Verbund gespielt. Wohin führt diese Strategie? Muss eine regionale Plattform wirklich mit nationalen Plattformen konkurrieren um Banners zu erhalten?

Tagi: Im September neu
Res Strehle ist seit dem 1. Mai Co-Chefredaktor des Tages-Anzeigers. Er freut sich nicht über den gestern angekündigten .ch-Rückzug, ist aber erleichtert. Damit verbessert sich die Ausgangslage für den Verbund Tages-Anzeiger / News. News habe tiefere Kosten und könne im Verbund mit dem Tages-Anzeiger günstigere Inseratetarife anbieten, was im härteren Werbemarkt ausschlaggebend sei. Irgendwann zwischen 1. und 30. September verspricht er den Neuauftritt des Tagis mit einem reinen Vierbund-Konzept. Wo es hie und da noch Beilagen geben werde.

Die Zukunft der bezahlten Tageszeitung
Alle drei sind übereugt: Die bezahlte Tageszeitung wird es auch in Zukunft geben. Ob sie wirklich bezahlt sein wird? Ob sie wirklich täglich erscheint? Da bin ich nicht so sicher. Damit stimme ich kein Grabeslied an, im Gegenteil: Persönlich schätze ich Tageszeitungen sehr und ich bezahle auch dafür. Aber schon meine Kinder und zahlreiche Kollegen sehen das ganz anders. Und lesen News gratis online. Vielleicht wäre es gut, wenn Medien auch mal das Undenkbare denken, wie es Clay Shirky im März in seinem Blogbeitrag betitelt.

Seine Grundthese: Journalismus braucht es weiterhin. Aber keine Zeitungen. Seit Mitte der 90er Jahre verkünden alle Verleger, wie sie ihr altes Geschäftsmodell beibehalten in einer Welt der kostenlosen, einfachen Kopien. Es gibt aber ganz einfach kein Modell, welches das durchs Internet eben grad zerstörte ersetzt. Die davor komplexe, aufwändige und schwierige Aufgabe des Publizierens ist heute ein Kinderspiel. Grips braucht es weiterhin – für gescheite Inhalte. Und wie immer in grossen Umbrüchen: Wir leben in einer Zeit des Ausprobierens, der Fehlschläge und unerwarteten Erfolge.

Erst in zwanzig Jahren wird man zurückblicken und sagen: Ja klar, genau so musste es kommen. Grad noch stecken wir mitten im Nebel.

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Beiträge

  • Sie schreiben, Ihre Kinder und zahlreiche Kollegen lesen News gratis online. Ja, dem ist heute so und es wird wohl auch so bleiben.

    Über News die von den Nachrichtenagenturen gesammelt, verifiziert, aufbereitet und weiterverbreitet werden, kann (konnte noch nie) sich ein Medium nicht abheben .

    Der Leser/die Leserin kann sich dank der News über das aktuelle Geschehen informieren, aber die Hintergründe, Zusammenhänge und Auswirkungen bleiben unerklärt.

    Genau hier müssen die Printmedien ansetzen. Die Zeitungen müssen erklären und kommentieren.

    Mit einem Mix aus News-Übersichten, Hintergrundberichten, grafischen Erklärungen, Kommentaren und einer breiten und tiefen Regionalberichterstattung werden meines Erachtens die Tageszeitungen auch in 10 Jahren noch existieren.

    Grundvoraussetzung dafür ist aber, dass die Hintergründe/Grafiken und auch die ausführlichen Regionalmeldungen ausschliesslich im Print zu finden sind. Online muss auf Top-News und Service (Events, Kleinanzeigen etc.) beschränkt sein – ausser die anderen Inhalte sind kostenpflichtig.

    Wenn sich die Medien etwas weniger auf’s „von den anderen abheben“ und dafür mehr auf die Bedürfnisse der Leser/innen konzentrieren, dann kann auch das alte und bestens bewährte Modell der Nachrichtenagenturen zu ihrem Überleben beitragen.

    Denn der genossenschaftliche Gedanke, dass einer etwas für alle macht, kann durchaus von der reinen Newsversorgung ausgeweitet werden. Möglichkeiten gibt es viele – für alle Medienarten.

  • @hardy: und natürlich ist meine „kinder und kollegen“-beobachtung total subjektiv. das mit dem absperren des inhalts (nur topnews online, rest abgesperrt oder nur print) funktioniert aus meiner sicht nicht. diese erziehungsmassnahme funktioniert nicht, wenn ich woanders genau das bekomme, was mir jemand verkaufen will. aber so wie sie den mix beschreiben: so bin (wiederum total subjektiv) eben auch ich bereit, für den tagi als print zu bezahlen und trotzdem das gratis-online-archiv zu nutzen. wichtig erscheint mir bei allen modellen eben auch das undenkbare im auge zu behalten – hätten sie sich vor zehn jahren vorgestellt, dass die medienlandschaft so aussieht wie heute?

  • Ich hörte der Diskussion in Luzern zu. Nicht ganz unerwartet gab es keinen Windstoss, der den Nebel vertrieben hätte. Mir ist an diesem Abend vor allem wieder mal bewusst geworden, wie träge Kunden, Verlage und die Werbewirtschaft sind. So gesehen werden die Verlage meines Erachtens auch in naher Zukunft an ihrem bestehenden Modell, ergänzt mit «etwas Online», wie sie es so schön zu nennen pflegen, festhalten können.