TEDx Zürich, die grosse Schokobox

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pralinenschachtel © dnnya17 flickrDie Zahlen: Fünfzehn Live-Vorträge, drei Videos, drei Unterhaltungseinlagen. Der Gesamteindruck: Wow – eine Pralinenschachtel voller Inspirationen. Nicht alle entsprechen den Erwartungen, andere überraschen und die Spannweite der Inhalte ist gewaltig.

Die gestrige TEDx war die Reise definitiv wert – wie praktisch: schnell mit dem Fahrrad zum Museum für Gestaltung. Schade, dass nur 400 Teilnehmende persönlich dabei sein konnten – kostenlos übrigens, dank Freiwilligen-Einsatz der engagierten Crew (Foto, Liste) und Sponsoren. Am Ende war so viel in dieser Schoko-Schachtel, dass ich gar nicht mehr weiss: Welches schmeckte am besten? Meine subjektive Auswahl der süssen und bitteren:

TEDx: Eine Lizenz für Inspirationen
Beginnen wir mit der Idee des Anlasses – und meinem Lieblingsbild: TEDx Kibera (Blogpost des Fotografen) fand in einem der grössten Slums Afrikas statt, bei Nairobi. Besser kann kein Bild die Open Source-Idee dieser Anlässe illustrieren: Wer will, bekommt von der jährlich in Kalifornien stattfindenden, immer ausverkauften TED eine Lizenz, Richtlinien und Vorlagen. Über 800 solcher Events haben gemäss Bruno Giussani, European Director für TED, seit der ersten Lizenzvergabe vor anderthalb Jahren stattgefunden.

tedx kibera von wilfred mworia

Schön, dass es auch so geht. In Zürich war natürlich alles perfekt inszeniert, choreografiert und dekoriert. Zu den TED-Bedingungen zählen Video-Dokumentation, Livestreaming und – leider – das Abspielen von mindestens drei Videos aus dem riesigen TED-Online-Archiv. Wieso genügen die Live-Beiträge nicht? Ich denke, dass sich der Lizenzgeber hier mehr zurückhalten könnte. Wer will, darf Videos einsetzen.

Inspirierend: Karen Tse und das Publikum
Sehr gepasst hat die Geburtstagsgratulation für Karen Tse: Ein Video mit dem Dirigenten der Boston Philharmonics Benjamin Zander hat den ganzen Saal für ein begeistertes «Happy Birthday» auf die Beine gebracht. Von der Lebendigkeit dieses Musikers schneide ich mir gerne ein grosses Stück ab, hier ein längeres TED-Video. Den zweiten Anlauf konnte ich noch mitfilmen – beim Abschluss mit dem ganzen Lied tobte auch ich mit dem Saal.

Erstaunlich, welche Energien im Publikum schlummern. Davor hatte Karen Tse für stille Aufmerksamkeit gesorgt: Sie führt die in Genf domizilierte «International Bridges for Justice». Mit zahlreichen Freiwilligen kämpft sie weltweit für weniger Folter: «Folter wird immer noch viel zu oft als billigste Art der „Rechtsfindung“ eingesetzt.» Sie hat diese Nonprofit-Organisation gegründet, weil sie daran glaubt, dass man mit Gefängniswärtern, Richtern, Polizisten arbeiten kann, auch wenn sie furchtbare Sachen machen. Entscheidend für ihren Erfolg in misslichen Umständen und mit wenig Ressourcen sei das Engagement der Menschen vor Ort: «Man muss eine gute Idee haben – und dazu eine glaubwürdige Strategie.»

Bitter bis süss: Von der Pyjama-Umarmung zum Einballroboter
Etwas verwirrt lässt mich Jef Koh vom Mixed Reality Lab der National University Singapore zurück. Bitter schmeckt mir sein Projekt des «Hugging Pyjama»: Die vielreisenden Eltern können ihrem Kind nicht nur per Skype Gute Nacht wünschen, sondern gleich noch eine Cyber-Umarmung übermitteln. Umgesetzt wird sie durch textil eingebettete, mechanische Elemente. Noch nicht richtig beurteilen kann ich den Geschmack des «Liquid Interface» – die Idee besteht darin, Interaktionen mit dem Bildschirm in eine neue Dimension zu führen. Als richtig sympathisches Highlight dagegen entpuppte sich die Präsentation des Einballroboters: Corsin Gwerder und Lukas Limacher zeigten ein Gerät, dass es fertig bringt, sich auf einem Ball aufrecht zu halten, um die eigene Achse zu drehen und gleichzeitig zu bewegen:

«Rezero» heisst dieses Schlüsselprojekt, das von einem interdisziplinären Team aus ETH, ZHAW und ZhdK getragen wird. Wichtig ist für Lukas in solchen Projekten die Magie: «Der magische Moment zeigt sich in der Formel für die Berechnung der Zukunft – wir kennen Ausrichtung und Dynamik präzis im Jetzt und antizpieren das Verhalten für die Feinsteuerung.» Magisch waren Lukas‘ Unkompliziertheit, das freie Sprechen und das frische Engagement für diese Idee.

Social Media Prinzipien von St. Benedikt
Abt Martin Werlen vom Kloster Einsiedeln verzichtet auf Folien, die schwarze Robe hebt sich stark genug ab vom roten Hintergrund. Und je länger ich zuhöre, desto stärker wächst mein Eindruck: Social Media-Grundsätze wurden vor 1500 Jahren durch den heiligen Benedikt (Wikipedia) formuliert. Wann immer wichtige Fragen anstünden, solle der Vorsteher die ganze Gemeinschaft zusammenrufen. Je mehr Menschen involviert sind, desto besser und informierter fallen Entscheidungen. Hat da jemand «Crowdsourcing» gerufen?

abt martin werlen tedxzhDie besten Ratschläge kämen von unseren Kritikern. Was meinte noch gleich das Management zur Einführung der Kommentarfunktion auf der Website? Es wird noch besser: Benedikt riet dazu, alle zusammen zu rufen, weil «Gott oft die besten Lösungen den jüngeren Mitgliedern schenkt». Zuhören sei überhaupt die wichtigste menschliche Eigenschaft, meint der überlieferte Begründer des westlichen Mönchtums. Und weil er sagt «Höre denen zu, von denen du nichts erwartest» mag @AbtMartin die Twitter-Community – grosses Gelächter der Eingeweihten im Saal.

Ein Knallbonbon: Marco Tempest verzaubert
Ja, auch ein Zauberer findet Platz in dieser TEDx-Schokobox: Marco Tempest besuchte die Primarschule in Zürich, gleich neben dem Museum für Gestaltung. Mit sechs habe er sein erstes Set Spielkarten erhalten. Und seit Jahren kombiniert er Videotechnik mit Handfertigkeit – er filmt seinen Kartentrick, kombiniert ihn mit 3D-Einspielungen und zaubert gleich noch einen Pingpong-Ball aus dem Ärmel:

Der Saal staunt. Als «Virtual Magician» betreibt Tempest einen eigenen Videokanal auf YouTube, hier kann man den Trick auch in voller Länge ansehen.

Die Essenz: Radikale Offenheit
Der Tag ist ein Gewinn. Eine Schokobox, die mit ihrer Prallheit ziemlich überfüttert. Mit Inhalten, die immer wieder anstossen, inspirieren, grundsätzliche Fragen stellen. Was ich hier zeigen kann, entspricht in keiner Weise dem, was als Ganzes da war. Persönlich hätte ich gerne etwas weniger gehabt. Aber worauf genau verzichten? Die Videos, die banaleren Beiträge. Aber liegt es an mir, das zu entscheiden? Oder an der Crowd? Ich freue mich schon auf die süsse Auswahl des nächsten Jahres und hänge zwei Goodies an:

Michael Herrmann, Leiter sotomo: «Wer Inhalt wirklich ernst nimmt, sollte seine eigenen Visualisierungen machen.» Was wir uns auch für den bernetblog zu Herzen nehmen. Als Beispiel zeigt er die von seinem Unternehmen entwickelte politische Landkarte der Schweiz. Bruno Giussani, TED Europa: «Unsere Vision ist radikale Offenheit». Was wir seit 1996 mit unserem Wissen tun; und am 3. November mit dem Social Media Gipfel im kurzen Morgenformat erneut unter Beweis stellen.

Zum Anlass:
Alle Videos sollten in einer Woche auf tedxzurich.com bereit stehen

 

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