Die Zeitung aus dem sozialen Mixer

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Zahlreiche neue Apps für Tablets aggregieren aus diversen Quellen einen persönlichen News-Mix und bereiten diesen als massgeschneiderte Zeitung auf. Die Themenauswahl dieser Social Media Anwendungen basiert auf Nachrichten von Quellen wie Twitter, Facebook, Flickr und RSS-Feeds.

Es gibt kaum ein namhaftes Print-Medium, das seine Inhalte nicht in Form einer App für das iPhone und das iPad präsentiert. Die Anwendungen reichen von der einfachen Bereitstellung der Online-News bis zur aufwendig, auf die Benutzeroberfläche des Tablets zugeschnittenen Aufbereitung mit zusätzlichen Elementen. Nun bekommen die etablierten Medien Konkurrenz durch eine neue Gattung von Apps, die Nachrichten aus vielen Quellen zusammentragen und für Tablets und in einem Fall für Webbrowser aufbereiten.

Das erspart dem Leser den Aufwand, seine bevorzugten Nachrichtenquellen einzeln abklappern zu müssen. Das vom Nachrichtendienst RSS bekannte Konzept erlebt im Zeitalter von Social Media eine Renaissance unter neuen Vorzeichen. Als Quelle dienen Nachrichten von Twitter und anderen Sozialen Netzwerken und das Resultat wird attraktiver präsentiert.

News-Mix mit Zeitungs-Feeling
Das wohl schönste Beispiel ist die Anwendung Flipboard, die von Apple als beste iPad-App gekürt wurde. Das Programm mixt jedem Anwender à la carte seine persönliche Nachrichtenauswahl und präsentiert diese in einem Layout, das an eine Zeitung oder ein Magazin erinnert.

Gezeigt werden nicht die maximal 140 Zeichen der Twitter-Nachricht, Flipboard pflückt nur Tweets mit integrierten Links heraus. Die dazu gehörenden Nachrichten von klassischen Medien und Blogs werden in einem dynamischen Layout nach einer nicht ersichtlichen Logik unterschiedlich gewichtet, viele davon auch bebildert. Die Zeitung aus dem sozialen Mixer ist intuitiv zu lesen. Man blättert mit einer Streichbewegung von Seite zu Seite und ruft den ganzen Text eines Beitrages per Fingerklick auf. Attraktiv ist die Aufbereitung, weil die mehr oder weniger langen Anrisse der Artikel ohne die überladenen Informationen und Elemente einer Webseite gezeigt werden. Zur Auswahl stehen bei Flipboard auch Nachrichten von Facebook und Flickr, mittlerweile lassen sich auch RSS-Quellen einbinden.

Blättern wie in der Zeitung: Die App Flipboard.

Erweitertes Spektrum
Das Besondere des Social-Media-Prinzips ist das überraschende Moment: Während man bei herkömmlichen RSS-Dienst mit Nachrichten der immer gleichen Quellen bedient wird, bringt die Themenwahl von Leuten, denen man auf Twitter folgt, immer auch Inhalte von Quellen, die man nicht kennt oder denen man selber nicht folgt. Dies erweitert einerseits das Spektrum, folgt man andererseits sehr vielen Twitter-Nutzern, mündet der Informationsfluss ins Uferlose.

Zu den Pionieren der aggregierten Zeitung gehört auch Pulse. Diese für mobile Geräte der Plattformen iOS und Android entwickelte Anwendung ist vergleichbar mit Flipboard, in der Handhabe ist sie aber etwas weniger elegant konzipiert. Dasselbe gilt für eine weitere App namens Flud (iOS). Im Vergleich zu Flipboard setzen diese beiden Lösungen auf ein starres Layout, bei dem jeder Anriss zu einem Artikel gleich gross und bebildert ist. Klickt man eine Quelle an, wird in zwei Spalten ein grösserer Textausschnitt gezeigt. Einen vergleichbaren Ansatz verfolgen gute RSS-Programme wie der in Zürich entwickelte „Reeder“ schon lange.

Etablierte Zeitungen neu gemischt
Ganz auf die Karte Social Media setzt die im Dezember lancierte Anwendung Tweetmag, die Twitter-Feeds verarbeitet. Das virtuelle Magazin kämpft zwar noch mit Performance-Problemen, lässt sich aber ähnlich attraktiv lesen wie Flipboard. In der Hauptansicht der Artikel blendet Tweetmag in einer Spalte auch weitere Beiträge von Twitter-Teilnehmern zum selben Thema ein und stellt Funktionen für direkte Antworten und Retweets bereit. Die App lässt sich auch ohne eigenes Konto bei einem Sozialen Netzwerk nutzen: Tweetmag liefert auch nach Themen sortierte News, die nur Artikel von etablierten Zeitungen und Magazinen enthalten, aber in der Benutzeroberfläche von Tweetmag präsentiert werden. Zu den ersten Titeln, die mit Tweetmag zusammenarbeiten, gehören Schwergewichte wie die New York Times, CNN oder Rolling Stone.

News-Mix à la TweetMag.

Da sehr viele Zeitungen ihre Online-Beiträge auch via Twitter verbreiten, lassen sich Apps wie Tweetmag und Flipboard gut auch als RSS-Ersatz nutzen. Selbst ohne eigenes Twitter-Konto kommt man zu Lesestoff: Einzelne Zeitungen lassen sich mit einem Klick abonnieren. Schön präsentiert Tweetmag seine Auswahl an bekannten Medientiteln nach Themen geordnet im Stile eines Kiosks. In die Liste der neuen Social Media Anwendungen eingereiht hat sich auch die neue iPad-App Newsmix, gespannt sein darf man auf ein weiteres Projekt namens News.me. Dieses entwickelt die Firma Betaworks zusammen mit der New York Times. Betaworks betreibt den URL-Verkürzungsdienst bit.ly, der bei der News-Aggregation eine Rolle spielen soll. Dies zumindest sagt der Blog Techcrunch, der eine frühe Version von News.me gesehen hat. Die iPad-App soll zudem auf Twitter-Quellen zugreifen auch lizenzierte Texte von Zeitungen integrieren.

Social-Media-Zeitung für den Desktop
Noch konsequenter auf die soziale Komponente setzt paper.li. Die Lösung des Lausanner Startups Small Rivers bereitet ebenfalls Links aus Twitter als Zeitung auf, jedoch für Webbrowser. Die Anwendung sortiert die News über eine semantische Analyse automatisch in Themengebiete und bereitet diese attraktiv als Frontseite mit Zugriff auf verschiedenen Themen-Ressorts auf. Speziell bei paper.li ist das Konzept, alle individuell erstellten Zeitungen öffentlich zugänglich zu machen. Laut Small Rivers bietet paper.li Zugriff auf über 140 000 personalisierte Twitter-Zeitungen. Die Lausanner testen zurzeit auch die automatische Erstellung einer Zeitung, die einen Nachrichtenmix allein via Links aus Facebook generiert.

Grenzen der Browser-Anwendung
Die Anwendung wird in vielen Ländern genutzt, dank neuen Investoren aus den USA und Japan soll die internationale Expansion vorangetrieben werden. Die neuen Mittel sollten auch in die Weiterentwicklung fliessen, denn der universelle Zugang via Browser hat auch gewichtige Nachteile. Auf dem Tablet lässt sich paper.li nur beschränkt via Touch-Gesten bedienen, in der Browser-Anwendung auf dem PC wie auch auf dem Tablet vereint der News-Aggregator die unterschiedlichen Quellen nicht so homogen in die Anwendung wie die Konkurrenz. Klickt der Leser einen Anriss für die Lektüre des ganzen Artikels an, wird er auf ein neues Browserfenster umgeleitet und befindet sich nicht mehr auf paper.li. Anstelle des unkomplizierten Blätterns, wie man es bei einer Zeitung auf Papier oder Flipboard und Tweetmag schätzt, ist hier viel Klicken zwischen Browserfenstern angesagt.

Gastblogger Claude Settele ist freischaffender Journalist und schreibt – auch mit Blick auf die wirtschaftlichen Aspekte – über Themen rund um Technologie, Internet, Telekommunikation und Unterhaltungselektronik. Die bernetblogger danken ihm für diesen Überblick über die Zukunft des Online Publishing.

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