Krisen sind unangenehm, und das waren sie schon vor der Erfindung des Web. Social Media bringt noch mehr Geschwindigkeit und Unübersichtlichkeit in den Umgang mit Pannen, Pleiten und Kritik. Wie verändern Mitmach-Kanäle Krisenabläufe?
Unser aktuelle Newsletter «Achtung Krise: Ruhig bleiben im Zeitalter von Shitstorms» enthält Praxistipps für den Umgang mit Entrüstung und Krise. Dieser Blogbeitrag ergänzt mit zusätzlichen Grundgedanken zum Thema Krisenverlauf und Online-Kommunikation.
Krisenkommunikation: Konsistenz wird schwieriger
Es gibt ein neues Modewort für Social-Media-Berater: Shitstorm. Jede Welle der Entrüstung, sie sich über Facebook-Pinnwände ergiesst, führt zu neuen Experten-Analysen und Ratschlägen. Auch wir im bernetblog haben unseren Beitrag geleistet, immer mit der nötigen strategischen Unaufgeregtheit. Ob bei Greenpeace vs. Nestlé oder WikiLeaks vs. Postfinance: Uns interessiert, wie sich die neuen Begebenheiten sinnvoll in eine kommunikative Gesamtsicht einbetten lassen.
Heute sind wir alle Verleger, wir alle können per Mausklick unsere Mikro- bis Makro-Öffentlichkeit ansprechen. Je nach Reichweite, die wir uns aufgebaut haben. Das heisst für Organisationen, dass noch mehr noch schneller sehr öffentlich werden kann, jederzeit. Der Brief, den ich an eine Person schreibe, kann morgen im Netz sein – was jetzt gerade den deutschen Detailhändler Schlecker im Zentrum eines Shitstorms hält. Netz-Publizist Sascha Lobo bringt die Konsequenz auf den Punkt: «Für professionelle Kommunikatoren gilt, grundsätzliche jede Mikroöffentlichkeit als Öffentlichkeit zu betrachten und konsistent zu kommunizieren, und zwar konsistent nicht aus Fachsicht, sondern aus Sicht einer möglichen Makroöffentlichkeit.»
Diese Konsistenz zählt zu den Basics einer erfolgreichen Kommunikation. Social Media macht das Wahren dieser Konsistenz anspruchsvoller und wichtiger. Vor, während und nach einer Krise gilt: Sind meine Taten konsistent? Laufen sie entlang einer Linie von Werten, gerichtet auf eine Vision? Sind meine Worte zu diesen Taten ebenso konsistent?
Krisenverlauf heute: Brandbeschleuniger Social Media
News sind heute rund um die Uhr, jederzeit und überall abrufbar. Das führt zu neuen Erwartungshaltungen von Lesern, Kunden, Meinungsmachern. Social Media erhöht den Druck auf Information, Echo, Handlung nochmals um einen Dreh: Ich-Verleger können sich noch besser vernetzen, organisieren, verstärken. Krisen beginnen im Freundeskreis und weiten sich von dort aus in Blogs, Foren, Soziale Netzwerke.
So kann ein Thema sich schnell breit machen. Und bei entsprechender Relevanz den Sprung in Online-, Print- oder elektronische Medien schaffen – was zu noch breiterer Aufmerksamkeit führt. Der schnelle Anstieg von Frequenzen und Reichweiten kann aber auch schnell wieder abbrechen: Wenn sich das nächste Thema vordrängt, wenn der Gegenstand der Krise nicht Grund für lang anhaltende Aufmerksamkeit liefert.
Ist Ihre Organisation auf Social Media präsent? Mit welcher Strategie? Existiert zumindest ein Monitoring?
Online ist der wichtigste Kanal
Krisen zeigen eklatant, welche Bedeutung Online hat. Dieser Bereich muss den internen und externen Auftritt anführen, er verschlingt am meisten Ressourcen und erreicht die grösste Reichweite. Print und Persönlich werden dadurch keineswegs ersetzt, sie haben eine andere Wertigkeit und bleiben integrierte Besandteile des Gesamtauftritts.
Im Kern stehen die Taten – darum herum gruppieren sich zunächst interne, dann externe Auftritte in den drei Hauptbereichen Online, Print, Persönlich:
Eine Binsenwarheit? Nein – denn viele Organisationen meinen, sie hätten eine Online-Strategie, wenn ihre Kundenmagazine als PDF auf der Website stehen. Wer in «normalen» Zeiten Online-Dialogkanäle aufbaut, pflegt und mit Gesamtsicht auf Print und Persönlich abstimmt, der ist in Krisensituationen besser aufgestellt. Man kann besser reagieren, interagieren. Mit den entsprechenden Notfallplänen und Ressourcen.
Taktische Anleitungen für den Umgang mit Krisen und Shitstorms bringt der Newsletter: «Achtung Krise: Ruhig bleiben im Zeitalter von Shitstorms».
Sascha Lobo hat gleich den Entschuldigungsbrief für den PR-Verantwortlichen von Schlecker geschrieben – mit strategischem Tiefgang und praktischem Schalk. «Zu Schlecker» zeigt seine grundsätzlichen Fazits für Kommunikationsprofis.
Wer so richtig was Amerikanisch-Dramatisches lesen will, bestellt sich «Digital Assassination: Protecting Your Reputation, Brand or Business Against Online Attacks». Hier ein Interview mit den Autoren. (Ich möchte auch so ein Boot wie Torrenzano. Oder ist das nur ein Büroposter im Hintergrund? Haben alle Social-Media-Krisenberater in den USA so was?)
Weitere Tipps zum Social-Media-Dialog im bernetblog:
Nestlé, Greenpeace und Facebook: Kitkat-Krise
PostFinance und Paypal in der Krise
Facebook: Kunde droht mit Dialog
Sieben Tipps für kluge Facebook-Posts
Laufend aktualisierte Links zum Thema Krise: Marcel Bernet/Delicious
Guten Abend,
ein durchaus interessanter Artikel – interessant unter anderem, weil er an vielen Orten Widerspruch herausfordert. Meines Erachtens nimmt sich die ‚Social Media‘ Community mitunter viel zu wichtig. Dies sicherlich im Falle des oft missverstandenen Schlecker-Briefs (mit dem Sascha Lobo wohl etwas übereifrig hantierte). Die Kunden dort sind überwiegend unberührt von der elektronischen Parallelwelt.
Und der Brief, ja der, der war sicherlich ganz zu unrecht zu einem Shitstorm-Igniter hochgeplaudert worden.
Aber das schrieb ich – ein bisschen ausführlicher – unter „Der Schlecker-Brief – ungelesen“ auf http://www.faktoide.de
Schönen Abend
Carsten.
Hallo Carsten – Danke für deine ebenso interessante Brief-Analyse. Die elektronische Parallelwelt bringt es mit sich, das vieles viel schneller hochgeplaudert wird. Um bald darauf wieder ignoriert zu werden. Wir alle lernen gerade, damit umzugehen.