Geschichten gut erzählen: Erwin Koch über seine Arbeitsweise

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Erwin Koch ist Buchautor und Reporter. Seine Reportagen sind bekannt für ihre emotionale Kraft. Wie entstehen seine Geschichten? Am vergangenen Donnerstag gab der Autor im Rahmen der Vortragsreihe «Freitag am Donnerstag» Einblick in seine Arbeitsweise. 

Erwin Koch spricht wie er schreibt: leise, nachdenklich, unmittelbar. Für die Vortragsreihe «Freitag am Donnerstag» erzählte er am vergangenen Donnerstag im Freitag Reference Store, wie er auf gute Geschichten aufmerksam wird, wie er Gespräche führt und wie er sie schliesslich niederschreibt. Dabei sagt er oft Dinge wie «da ist viel Glück dabei», «mit der Zeit habe ich den Riecher entwickelt» oder «es macht oft irgendwie klick». Koch arbeitet mit viel Feingefühl, das wird im Gespräch mit Daniel Puntas Bernet, Chefredaktor von Reportagen, schnell klar.

Koch spricht aber auch gerne von Handwerk. Wie arbeitet einer, der den Egon Erwin Kisch Preis trägt, mehrmals den Zürcher Journalistenpreis gewonnen hat und für den deutschen Reporterpreis nominiert ist?

Nichts verpassen: 125 Fragen
In den Reportagen von Koch stecken viel Zeit und Akribie. Die Arbeit an einer Geschichte beginnt mit einem langen Fragekatalog. Je nach Geschichte sind das 25, manchmal auch 125 Fragen. Er wolle auf keinen Fall etwas verpassen, das wichtig sein könnte. Deshalb transkribiere er nach jedem Gespräch seine Aufzeichnungen auch beinahe lückenlos. Ein Stichwort-Register entlang der Biografie der Interviewpartner dient ihm als Überblick über den Rohstoff für seine Reportagen.

Gute Geschichten sind unvollständig, aber persönlich
Von jeder Begegnung liessen sich zahlreiche Geschichten erzählen, sagt Koch. Nur eine bleibt am Ende übrig, und auch davon am besten nur ein kleiner Ausschnitt. Bei seiner Reportage über den Ex-Bundesliga-Star Timo Konietzka sind es die letzten Tage vor dessen Freitod. Die Kindheit von Konietzka im Kohlenpott, die Liebesgeschichte in der Schweiz, beides blieben Randbemerkungen.

Details zeigen: Die Nummer des Krankenhauszimmers
Bei der Recherche legt er Wert auf treffende Details. Für seine Geschichte über Sarah, die an Leukämie erkrankt und stirbt (Textanriss, Hörbuch-Fassung), fragte er  nach der Nummer des Zimmers im Krankenhaus, in welchem der Mutter die Diagnose erfuhr. Oder nach dem Namen der Perücke, die Sarah nach der Chemotherapie erhielt.

Nicht an den Leser denken
Beim Aufbau und beim Formulieren seiner Texte richtet sich der Autor am eigenen Massstab: «Ich denke nicht an den Leser, es muss für mich passen», sagt Erwin Koch. Ist das Material vollständig und die Struktur klar, schreibe er seine Texte in einem Durchgang fertig. Er könne nicht weitermachen, wenn weiter vorne im Text etwas nicht stimme.

Es ist also wohl eine Mischung aus akribischem Sammeln, sorgfältigem Auswählen und Eigensinn. Neben dem erwähnten Feingefühl braucht es für gute Reportagen aber auch Zeit und Freiraum. Beides können sich Journalisten nur leisten, wenn die Leser bereit sind, Geld dafür zu bezahlen.

Weiterführend:
«Schlusspfiff», die jüngste Reportage von Erwin Koch in Reportagen
Reportagen von Erwin Koch auf Zeit Online
Peter Hossli über gute Geschichten: Big Story Small Set

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