Gastblog: Digitale Literatur bedeutet mehr als nur E-Books

Hat das Buch Zukunft? Wie sieht sie aus? Wer treibt die Entwicklung voran? Eine Einschätzung im Gastblog von Verleger André Gstettenhofer: «Viele Buchverlage haben in den letzten Jahren angefangen, Druck-PDFs in ePubs zu konvertieren und diese als E-Books zu verkaufen. Sie denken, damit sei das Thema »digital« abgehakt. Das ist viel zu kurz gedacht und ein fataler Fehler.

Meine Branche kennt seit Jahrhunderten wundervolle, vielfältige Inhalte, die neue Welten eröffnen, Erkenntnisse bringen, uns für Stunden und Tage abschweifen lassen in fremde Universen, Kulturen und Leben. Unzählige Geschichten, erzählt in einfacher oder komplexer Sprache, gelesen von einigen hundert oder Millionen Menschen. Und dies seit Anbeginn im immer gleichen Medium, dem Buch. Dessen Monopolstellung als einziger Träger der wirklich ernst zu nehmenden längeren Texte ist durch die Digitalisierung allerdings nicht nur gefährdet, sie ist bereits Geschichte. Doch wie damals in der Musikindustrie in den späten 1990er-Jahren sieht man 15 Jahre später wenig Wille bei den Verlagen, aus deren Fehler zu lernen und sich lustvoll und neugierig mit den neuen Möglichkeiten des Digitalen auseinanderzusetzen.

Die branchenfremde Energie

Diejenigen, die das Digitale mit dem Buch zu vereinen versuchen, stammen allesamt nicht aus der Buchbranche, sind Quereinsteiger und keine Verlagsprofis. Dies resultiert in Frische und der nötigen Distanz, die Buchbranche mit ihren starren Regeln neu zu erfinden und damit die herkömmlichen Verlage ganz einfach zu überrunden.

Da ist zum Beispiel Nikola Richter (@nikonee) mit ihrem digitalen Verlag mikrotext, in dem immer erst das eBook kommt und eine gedruckte Version nur nach Lust und Laune. In dem die Buchinhalte oft im Netz generiert werden und sich mit Aspekten des Netzes auseinandersetzen.

Von Online First über Social Reading zur Literatur-Datenbank

Ein grosser Trend ist Social Reading, das ermöglicht, an jeder Stelle in jedem Buch zu kommentieren, mit anderen Lesern zu diskutieren und sogar mit dem Autor zu chatten. Wenn dieser mag. In Sascha Lobos (@saschalobo) neuem E-Book-Shop sobooks soll dies alles möglich sein, wenn der Shop im März endlich wirklich eröffnet wird.

Das umfassendste geplante digitale Literaturprojekt heisst log.os (www.log-os.info) und stammt von Volker Oppmann (@onkelvolker), einem der wirklichen Pioniere für digitale Literatur im deutschsprachigen Raum. Log.os soll die umfassendste Datenbank für digitale Bücher werden und über sechs verschiedene User-Interfaces die Bedürfnisse von Autoren, Lesern, Verlagen, Buchhandlungen, Bibliotheken und Bildungseinrichtungen abdecken. Und Log.Os soll gemeinnützig sein und einer über allen stehenden Stiftung gehören. Diese Konstruktion soll dafür sorgen, dass Log.Os keinen kommerziellen Gelüsten und Kaufangeboten von gewinnmaximierenden und Nutzerzdaten missbrauchenden Grosskonzernen zum Opfer fällt.

Man sieht, es tut sich einiges, nur kommt es nicht aus der Branche selbst. Ob sich diejenigen, die jetzt innovativ sind und neue Möglichkeiten zum Erfolg führen, dann so einfach von den Verlagen aufkaufen lassen, das ist fraglich. Die Investition in digitale Spielwiesen bei herkömmlichen Verlagen tut Not, ein Aufbau von eigenem digitalen Know-how ist notwendig.»

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Gastblogger André Gstettenhofer (@a_gstettenhofer) ist Verleger und lebt in Berlin und Zürich. Mit dem von ihm gegründeten Salis Verlag kümmert er sich  seit 2007 um die Entdeckung und Förderung literarischer Talente. Salis gehört zu einer neuen Generation von Independent-Verlagen im deutschsprachigen Raum. Und veröffentlicht gedruckte wie auch elektronische Bücher.

Ein ausführlicherer und leicht anders gelagerter Essay zum gleichen Thema findet sich online im Schweizer Monat. Ab Februar erscheint im Magazin Literarischer Monat eine regelmässige Kolumne des Autors, die sich mit  der Digitalisierung der Literatur befasst.

Foto: Michel Gilgen

Weiterführend: 
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