Journalisten im Web: Jürg Rüttimann, Leiter sda-Wirtschaftsredaktion

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Die schnellen Dialogkanäle haben die Arbeit der Schweizerischen Depeschenagentur sda umgekrempelt. Der Druck, News noch schneller zu publizieren, sei gestiegen, sagt Jürg Rüttimann, Leiter der sda-Wirtschaftsredaktion.

Die bernetblog-Serie «Journalisten im Web» portraitiert Redaktorinnen und Redaktoren und ihren Alltag im Social Web im Rahmen einer qualitativen Studie von Bernet_PR und der ZHAW. Der Hashtag zur Studie: #jstudie14.

Social Media bedeutet für die sda vor allem: Mehr Geschwindigkeit. Die Konsequenzen für den journalistischen Alltag sind vielseitig. Im bernetblog-Portrait erzählt Jürg Rüttimann, Leiter der sda-Wirtschaftsredaktion, welche Vorteile Twitter als Informationsquelle und Monitoring-Tool bietet und wie sich die Aufgabe der ältesten Schweizer Nachrichtenagentur gewandelt hat.

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Twitter als Monitoring-Tool etabliert

Die sda nutzt im Alltag von den Social-Media-Plattformen fast ausschliesslich den Kurznachrichtendienst Twitter. Dieser gehört jedoch zu den fixen Arbeitsinstrumenten, alle Mitarbeiter wurden dafür geschult, sagt Jürg Rüttimann:

«Wir beobachten die nationalen und internationalen Newsportale via Twitter, das geht wesentlich schneller und einfacher als mit anderen Tools. Zusätzlich führen wir Twitterlisten mit Politikern und Persönlichkeiten aus der Wirtschaft. Dabei bleibt aber immer zu bedenken: Twitter ist kein Kanal der breiten Masse, sondern von jenen, die sich mitteilen wollen.»

Auch als Quelle für neue Geschichten diene Twitter, vor allem bei Themen aus Technologie oder Politik: «Twitter ist vor allem bei technischen Themen eine schnelle Informationsquelle, insbesondere bei der Informationstechnologie. Hier finden wir immer wieder Themen, die wir weiterverarbeiten können. Als Quelle etabliert hat sich der Kanal auch in der Politik: Wir finden auf Twitter sehr rasch Reaktionen auf Ereignisse. Wenn uns der Urheber bekannt ist, verwenden wir die auch eins zu eins. Unternehmen sind mir bis jetzt keine bekannt, die Twitter so nutzen, dass wir Informationen schneller erhalten würden als über den herkömmlichen Weg.»

Einfluss auf die Themenwahl

Auf die Themenwahl haben Social Media einen Einfluss – wenn auch einen indirekten: «Ich nehme über meine Timeline extrem viel Informationen auf – pro Stunde können das 100, 200 Tweets sein. Manchmal entdecken wir interessante Statistiken via Twitter. Es kam sicher schon vor, dass wir eine Geschichte aufgenommen haben, weil wir sie per Zufall bei Twitter gesehen haben oder weil das Thema mehrfach aufgetaucht ist. So finden manchmal Geschichten den Weg zu uns, die es sonst nicht schaffen würden.»

Bei anderen Kanälen sei der Nutzen jedoch gering: «Die Diskussionen auf Facebook zum Beispiel lassen sich eigentlich nie für die Berichterstattung verwenden. Bei Instagram finde ich keine Bilder zu Ereignissen, die ich sonst nicht erhalte. Und der Aufwand, solche Quellen zu durchsuchen, lohnt sich nicht.»

Verifizieren wird wichtiger

Die hohe Geschwindigkeit hat für die Agentur Folgen, Verifizieren und Gewichten wird wichtiger, aber auch gutes Storytelling, sagt Jürg Rüttimann:

«Mit Social Media und insbesondere Twitter fällt ein Teil unserer traditionellen Aufgabe weg: Wir sind längst nicht mehr die einzigen, die schnell Nachrichten übermitteln können. Wenn ein Flugzeug abstürzt, ist immer jemand schneller auf Twitter oder Facebook. Der Leser benötigt aber nach wie vor jemanden, der ihm sagt, was er glauben kann und was nicht. Während Nachrichtenagenturen früher vor allem Fakten vermittelten, verschiebt sich ihre Aufgabe je länger je mehr hin zu Überprüfung, Gewichtung und Verarbeitung von Informationen.»

Verändert hat sich auch die Form der Berichterstattung: «Wir müssen viel stärker auf Storytelling achten, auf attraktive Aufmacher, ob etwas kurz oder lang sein muss, ob wir Geschichten ausbauen oder nicht. Grundsätzlich stellen wir fest, dass journalistische Fertigprodukte immer gefragter sind.»

Social Media beeinflussen die Themenwahl

Bemerkenswert: Ob ein Artikel auf den Social-Media-Kanälen ein Echo auslöst, wird auch für News-Agenturen zu einem Auswahlkriterium:

«Wir können dank Social Media direkter sehen, ob wir mit einem Artikel ein Thema getroffen habe, das die Leute bewegt. Insbesondere wenn ein Artikel von Usern geteilt wird, zeigt uns das, dass es dafür ein Interesse gibt. Manchmal werden wir auch überrascht: Vor einigen Wochen schaffte es ein eher technischer Artikel zu Crowdfunding beim Tages-Anzeiger in die Top 5 der meist geteilten Artikel. So erhalten wir ein direktes Feedback, das unsere Arbeit beeinflusst.»

Private Nutzung: Keine politischen Äusserungen

Die sda hat ein Verhaltenskodex aufgestellt, der das Redaktionsstatut ins Online-Zeitalter übersetzt.

«Wir posten im Namen der sda grundsätzlich nichts, weil wir ein B2B-Anbieter sind. Für die Redaktoren gilt: Der sda-Ticker kommt immer zuerst, die Headline darf nicht auf Twitter, bevor sie über unseren Ticker gegangen ist. Ansonsten haben die Redaktoren relativ freie Hand. Sie dürfen auf Social Media den Beruf mit der Privatperson verbinden – das lässt sich so oder so nicht strikte voneinander trennen. Mit zwei wichtigen Einschränkungen: Wir äussern uns nicht politisch zu Ereignissen und kritisieren als Privatpersonen auch keine Unternehmen öffentlich bei Social Media. Das wäre nicht professionell.»

«Es gibt einen Ausschaltknopf»

Es ist eine Mischung aus professioneller Faszination und persönlichem Interesse. Privat erlaubt mir Facebook über Grenzen hinweg niederschwellig zu kommunizieren. Ich bleibe auf dem Laufenden, was bei meinen Bekannten in anderen Ländern geschieht. Zugleich faszinieren mich diese Medien, weil ich sie gezielt nutzen kann. Es gibt überall einen Ausschaltknopf. Ich kann ganz bewusst entscheiden, wo ich mitmache und wo nicht.

Steckbrief

Jürg Rüttimann, 37, Leiter Wirtschaftsredaktion

  • Journalist seit 1999
  • Bei der sda in heutiger Funktion seit 2010
  • Nutzt Facebook seit 2007
  • Twitter seit 2009

Weiterführend:

Alle Blogbeiträge zu unserer Studie «Journalisten im Web»

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