Twitter im Profil: Floskelwolke

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Unter dem Label Floskelwolke werden Begriffe gesammelt, die in Nachrichtenmeldungen nichts verloren haben: Floskeln. Die Initianten geben in unserer Rubrik «Twitter im Profil» Auskunft zum im August gestarteten Projekt. 

Udo Stiehl twitterte Sebastian Pertsch an – und seit dem 11. August messen die beiden via Floskelwolke zweimal täglich die Floskelflut in Nachrichtenmeldungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Verwendung von Floskeln  kritisieren die beiden wenn Floskeln «inhaltlich falsch sind oder die werten,verschleiern und verharmlosen». Die Floskelwolke soll mehr den Spiegel vorhalten als anklagen.

Mit einer eigens erstellten Liste mit 50 Floskeln und Phrasen befragen die beiden die Suchmaschine – und werten die Ergebnisse der Websites von deutschsprachigen Zeitungen, Magazinen, Radios, Fernsehsendern und Magazinen aus. Die Floskelwolke zeigt zwei Darstellungen: Die «TOP-Floskeln» zeigen die Meistgenannten in den vergangenen 24 Stunden. Was im Vergleich zum Tag vorher häufiger verwendet wird, zeigt «TOP-Wachstum». Sebastian Pertsch gibt stellvertretend für die Floskelwolke Antwort zum Auftritt der Floskelwolke auf Twitter.

Wieso ist die Floskelwolke bei Twitter?
Die Floskelwolke ist auch auf Facebook und hat mit über 2’200 «Gefällt mir»-Klicks etwa gleich viele Fans wie Follower bei Twitter, dort erreichen wir aber eher die Kollegen. Geschätzte 90 Prozent geben in der Bio an, dass sie in den Medien arbeiten. Auch viele Sprachliebhaber sind dabei. Bei Facebook folgen uns – so vermuten wir – die Medien-Nutzer. Das ist eine interessante Beobachtung! Wir schätzen den intensiven Kontakt und die Diskussionen mit unseren Followern. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit überflüssigen oder gar schlimmen Floskeln und Phrasen gibt es nur hier. Das ist für alle eine Bereicherung.

Welches inhaltliche Konzept besteht für den Auftritt?
Ein formvollendetes Konzept gibt es nicht. Wir haben uns aber mit der Website und unseren Präsenzen in den Sozialen Netzwerken zum Ziel gesetzt, keine Medien einzeln aufzuführen. Wir analysieren lediglich, wie intensiv unsere 50 Floskeln und Phrasen in den vergangenen 24 Stunden in den rund 2’300 Medien gedroschen wurden. Ein Bashing einzelner Kandidaten gibt es nicht, das Anprangern überlassen wir anderen. Wenn aber etwas besonders kurios oder komisch ist, retweeten wir das gerne, wenn man uns darauf hinweist – das kommt offensichtlich sehr gut an. Die Crowd ist sehr engagiert, ein grosser Blumenstrauss. Wir wollten die um 7 und 19 Uhr erscheinenden Floskelwolken samt Bild automatisiert auch bei Twitter zu posten – und eben nicht nur auf unserer Website anzuzeigen. Unser Engagement auf Twitter hat sich bereits nach kurzer Zeit weiterentwickelt.

Wie gross ist der Zeitaufwand und wer twittert?
Am 11. August sind wir online gegangen. Die ersten Tage waren ausgesprochen zeitintensiv. Alleine in der ersten Woche verzeichneten wir fast 47’000 unique visits und knapp 130’000 Seitenansichten, kamen auf rund 1’900 Twitter-Follower, 2’000 Facebook-Fans, uns erreichten 76 E-Mails, ohne die Anfragen für Interviews mitzuzählen, und mehr als 230 Vorschläge für neue Floskeln und Phrasen. In nur einer Woche kamen 52 Artikel zusammen, die über die Floskelwolke berichteten. Udo Stiehl und ich sassen 10 bis 15 Stunden täglich an der Floskelwolke oder am Telefon oder in Studios, um interviewt zu werden. Die Arbeitszeit auf Twitter herunterzubrechen, wäre allerdings schwer zu kalkulieren. Durch das riesige Medienecho gab es auch einen feinen viralen Hit. Wie zeitaufwendig unser privates Projekt in Zukunft ist, wird die Zukunft zeigen.

Lohnt es sich?
Aber ja! Wir sind sehr zufrieden über das Feedback und können unser Glück noch kaum in Worte fassen. Wir hatten auch nicht damit gerechnet! Da das Thema doch sehr speziell ist, hätten wir gedacht, uns würden nach einer Woche vielleicht 50 Kollegen auf Twitter folgen. Ob es sich finanziell lohnt? Wir betreiben und finanzieren die Floskelwolke komplett privat, das Projekt ist unabhängig und die Website werbefrei. Einnahmen haben wir keine, sind aber gerade am Überlegen, wie zumindest die technischen Kosten, gedeckt werden können. Ergänzend zu diesen Kosten erhebt Google, dessen Schnittstelle wir für die Auswertung nutzen, eine Nutzungsgebühr, wenn wir mehr als die aktuell 50 Floskeln und Phrasen pro Tag abfragen. Es gibt diese 200 neuen Floskel-Vorschläge, die wir in diesen Tagen intensiv durchgehen. Ausbauen würden wir die Liste gerne, könnten uns beispielsweise eine TOP-100- oder sogar TOP-200-Liste vorstellen. Aber: Für diese zusätzlichen Kosten möchten wir nur ungern selber aufkommen.

Wichtigste Erfahrung mit der Twitter-Präsenz?
«Facebook ist #IceBucketChallenge. Twitter ist #Ferguson», hatte ich letztens geschrieben. Obwohl nur 140 Zeichen zur Verfügung stehen, ist bei Twitter der Kontakt zu den Followern grossartig, da intensiv, spannend, filterfrei, belebend und meist geistreich. Hinter mir liegen schon einige Projekte, aber solch ein Echo habe ich noch nicht erlebt. Eine klasse Erfahrung!

Fazit
Einmal entdeckt, lässt einem die Floskelwolke nicht mehr los. Und hält einem selbst den Spiegel vor: Wie genau nehme ich es beim Lesen von Nachrichten? Merke ich noch, wenn Floskeln darin vorkommen? Mit dem Sichtbarmachen der Floskeln sensibilisiert die Floskelwolke nicht nur den Schreibenden, sondern auch den Lesern. Zu hoffen ist, dass die Floskeln aktualisiert oder gar ausgebaut werden können.

Weiterführende Links
– Alle Beiträge im bernetblog zu «Twitter im Profil»
– Die Website der Floskelwolke sowie auf Facebook und Twitter
– Bericht im «Tages-Anzeiger»  zur Floskelwolke «Himmliches Besserwissertum»

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