Journalisten im Web: Etienne Wuillemin, Ressortleiter Sport von Schweiz am Sonntag und der Nordwestschweiz

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Ungeahnt ein grosses Publikum erreichen, schnellen Zugang zu einem breiten Spektrum an Inhalten, die eigenen Leistungen neu zu definieren – das sind drei der Veränderungen, die Social Media gemäss Etienne Wuillemin mit sich gebracht haben.

Die Serie «Journalisten im Web» portraitiert Redaktorinnen und Redaktoren und ihren Alltag im Social Web im Rahmen einer qualitativen Studie von Bernet_PR und der ZHAW. Die Zusammenfassung und Auswertung der Studie erfolgt (bereits zum zweiten Mal nach 2015) im Frühling 2017. Der Hashtag zur Studie: #jstudie.

Etienne Wuillemin hat schon am eigenen Leib erlebt, wie eine Geschichte dank Social Media ungeahnte Dimensionen annimmt: «In diesem Frühsommer interviewte ich Breel Embolo exklusiv. Sein Wechsel stand im Raum. Als klar war, dass er zu Schalke wechseln würde, fand jemand im Raum Gelsenkirchen mein Interview und verlinkte es auf einer Plattform. Und dann gingen die Zugriffszahlen für dieses bereits 13 Tage altes Interview durch die Decke.»

Wuillemin erzählt die Geschichte als Beispiel für das Unkontrollierbare in der Social-Media-Welt. Natürlich ist ihm klar, dass er dieses Publikum nicht würde halten können. Die Zugriffszahlen aus Gelsenkirchen sind wieder auf null. Trotzdem sieht Wuillemin in Social-Media-Plattformen neue Möglichkeiten, um ein anderes, jüngeres Publikum zu erreichen. Ein anderes Publikum als bei der Zeitung – das macht Wuillemin an der Tatsache fest, dass noch nie jemand reklamiert hat, wenn ein Artikel zuerst online und erst später identisch im Print erscheint.

Social Media als Stimmungs-Seismograf
Auch Wuillemin denkt, wie viele andere Journalisten, zuerst an Twitter und Facebook, wenn er über Social Media spricht. Wobei er bei Facebook einen Wandel feststellt: «Ich habe das Gefühl, dass sich Facebook sehr stark zu einer Plattform gewandelt hat, auf der Medieninhalte geteilt werden. Damit ist es für mich relevanter geworden.» Wobei er diese Bedeutung auch nicht überschätzen will: «Für mich als Journalist sind das Telefon oder Face-to-Face-Gespräche immer noch am relevantesten. Ich möchte sicher nie ein Journalist werden, der für alle Infos nur vor dem PC sitzt und in den Social Media herumsucht.»

Twitter ist auch Stimmungs-Seismograf: «Wenn Federer in einem Grand-Slam-Final spielt, dann äussern sich viele live dazu. Man kann sich damit eine Art Durchschnittsmeinung zurechtlegen. Das ist dann immer noch eine kleine Gruppe, aber ich habe das Gefühl, sie bilden das allgemeine Empfinden oft recht gut ab. Oder wenn sich neunzig von hundert FC-Basel-Fans via Twitter den Champions-League-Auftritt negativ kommentieren, hilft das, den eigenen Eindruck zu verstärken.» Allerdings greift Wuillemin diese Meinung der Masse in der Berichterstattung höchstens implizit auf. Die Social-Media-Kommentare vermitteln vor allem Sicherheit, wenn er selbst Spiele oder sportliche Leistungen bewertet.

Journalisten müssen mehr bieten
Neben der Möglichkeit, sich ein Bild der öffentlichen Meinung einzuholen, schätzt Wuillemin auch das Tempo von Twitter: «Twitter ist ganz gut, wenn ein Verein einen Spieler aus dem Ausland holt. Das ist zuerst auf Twitter, über die Kanäle im Herkunftsland des Spielers. Die sind nahe am Verein dran.» Wuillemin hat schon ganz konkret profitiert: «Das war ein Spieler in Rotterdam namens Boetius. Journalisten rund um Rotterdam twitterten irgendwann, er wechsle nach Basel. Ich wurde auf diese Tweets aufmerksam und konnte dann mit einem holländischen Journalisten reden, der mir versicherte, der Deal sei praktisch abgeschlossen. In solchen Fällen ist Twitter sehr gut.» Allerdings Wuillemin würde Twitter-Gerüchte nie einfach übernehmen: «Man muss dem nachgehen und prüfen, was dahinter steckt.» Und er ergänzt: «Die reine Information ist für Zeitungen heute weniger wichtig; es geht darum, Informationen einzuordnen, oder zu werten. In diese Richtung geht es immer mehr, gerade wegen den Social Media. Heute ist alles im Internet, und es gibt so viele Plattformen, gerade im Sport, wo man zwischen Wahrheit und Dichtung alles findet – wo achtzig Prozent einfach irgendwie erfunden, gut zusammengerätselt oder einfach in den Raum gestellt ist. Also schafft man als Zeitung mit einem möglichen Vereinswechsel oder mit dem Interesse von Club X an Spieler Y keinen Mehrwert. Da muss man mehr bieten.»

Finden, ohne zu suchen
Was Wuillemin weiter feststellt: Dank Social Media bleibt ein Primeur selten lange exklusiv: «Es wird wohl nicht mehr abgeschrieben als früher. Aber in einem neuen Rhythmus. Wenn ich was twittere, sehe ich es sehr schnell auch bei anderen Journalisten.»

Insgesamt sieht Wuillemin die Möglichkeiten von Social Media aber durchaus positiv. «Social Media haben mir Zugang zu neuen Dingen geöffnet.» Zwar sind Social Media in seinen Augen wenig nützlich für die lokale Recherche: «Der FC Aarau oder der EHC Olten findet nicht auf Twitter statt. Da sind die Kontakte persönlich und die Quellen telefonisch.» Aber grundsätzlich kann sich Wuillemin darauf verlassen, via Social Media immer Spannendes zu finden, was er sonst verpassen würde – weil er nicht danach sucht. «Finden, ohne zu suchen, so kann man Social Media zusammenfassen. Auch eine Erweiterung des Spektrums an Meinungen, zu denen man leicht Zugang hat.»

Dass die Social Media seinen Zeitungsjournalismus überflüssig machen wird, glaubt Wuillemin nicht: «Die geteilten Inhalte auf Social Media stammen immer noch sehr häufig ursprünglich aus einem Printprodukt. Deshalb glaube ich nicht, dass Print je aussterben wird.»

Steckbrief

  • Etienne Wuillemin, 29
  • Journalistin seit: 2007
  • Auf Facebook seit: ?
  • Auf Twitter seit: 2010

Weiterführend: 
alle Artikel über unsere Studie «Journalisten im Web» 

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