Die Serie «Journalist:innen im Web» porträtiert Redaktor:innen und ihren Alltag im Social Web im Rahmen einer qualitativen Studie von Bernet Relations und der ZHAW. Die Zusammenfassung und Auswertung der Studie erfolgt (bereits zum vierten Mal nach 2015, 2017 und 2019) im Frühling 2024. Der Hashtag zur Studie: #jstudie24.
Privat nutzt Alex Kühni Social Media sehr limitiert. «Ich finde es schwierig, dass jede Plattform alles können will. Videos einbetten, Messenger sein – dieser Anspruch führt zu einer Verwässerung.» So hat er sich 2023 auch von LinkedIn verabschiedet und nutzt heute die meisten Social-Media-Kanäle nur noch als Konsument. Einzig seinen Instagram-Account pflegt er aktiv, aus beruflichen Gründen. Ihm folgen dort nebst Bekannten und Fotografie-Interessierten auch Bildredakteur:innen. Somit dient der Kanal nicht nur zum Streuen seiner Inhalte und als Portfolio, sondern auch der Akquise. Durch das Zeigen seines aktuellen Einsatzortes in den Stories entstehen regelmässig Folgeaufträge.
Social Media als Orientierungshilfe in der Recherche
Vor der Reise in ein Kriegsgebiet ist eine umfassende Vorbereitung zwingend nötig. Recherchen auf Social Media sind für Alex Kühni dabei essenziell. Stets im Wissen, dass Informationen gefiltert oder gefälscht sein könnten. Postings auf Social Media helfen ihm dennoch zu erkennen, wie die Situation vor Ort ist oder wie der Zugang zu einem Konfliktgebiet aussieht. Wird eine Ortschaft von bestimmten Interessensgruppen kontrolliert? Stammen die Bilder aus einem Konflikt von staatlichen Quellen oder von Journalist:innen? «Beispiel Israel im November 2023: Auf allen Videos und Bildern war das Logo des Governmental Press Office. Selbst bei den berühmtesten israelischen Journalist:innen sind die Instagram-Konten leer, wenn es um diese Bodenoffensive geht.» Gibt es Bildmaterial von Journalist:innen, beispielsweise auf Instagram, ist dies ein Indikator dafür, dass der Zugang möglich ist. Dann geht es darum, in einem nächsten Schritt herauszufinden, wie dieser gelingt.
Facebook: logistische Unterstützung im Kriegsgebiet
Würde es nach Alex Kühni gehen, wäre er längst nicht mehr auf Facebook. Doch: Hier verbirgt sich unverhofft wichtige Hilfe für die Arbeit in Konfliktgebieten. Geschlossene Facebookgruppen, sogenannte regionale Logistikgruppen, ermöglichen es, vor Ort die richtigen Kontakte zu knüpfen. Hier finden sich Übersetzer:innen, Fixer:innen und Fahrer:innen. Diese Gruppen dienen als erste Anlaufstelle für die Planung von Einsätzen. Nach dem Erstkontakt via Facebook verlagert sich die Kommunikation dann auf Messenger-Dienste wie Signal oder Telegram. Ein weiterer Vorteil der Logistikgruppen ist der Zugriff auf topaktuelle Informationen. Journalist:innen, die bereits vor Ort sind, teilen wichtige Informationen, beispielsweise, wo in einem Kriegsgebiet provisorische Brücken am Fluss aufgebaut sind, wenn sämtliche Überquerungsmöglichkeiten weggebombt wurden.
Quelle für Fachwissen
Nebst den logistischen Informationen, dienen die sozialen Medien Alex Kühni auch bei der Suche nach Expert:innen für ganz spezifische Themen. So nennt er als Beispiel X, das ihm den Kontakt zu Waffenanalyst:innen oder auch Panzer-Spezialist:innen ermöglicht. Deren Insights seien für die Kriegsberichterstattung extrem wertvoll. Alex Kühni nennt als Beispiel einen Artikel zum Ukraine-Krieg, in dem er ein ausgebranntes Panzer-Modell falsch benannt hatte. Bei der Publikation des Beitrags seien zahlreiche Kommentare dazu eingegangen. Sein Learning: Jetzt werden sämtliche Bilder vorab dem Experten-Kontakt auf X zur Überprüfung geschickt.
Keine Kompromisse bei der Integrität
Das Community Management bedingt beim Thema Krieg grosse Sensibilität. Alex hat den Anspruch, in seiner Berichterstattung so neutral wie möglich zu bleiben. Wird der Inhalt seiner Beiträge kommentiert, lässt er das so stehen. In die Kommentare greift er dann ein, wenn «sich Leute auf meinem Account virtuell anschreien». So löscht er etwa Kommentare von Bots unter Beiträgen aus der Ukraine, bei denen schnell ersichtlich wird, dass sie auf Provokation abzielen. Geht es um die Integrität als Journalist, reagiert er immer, lässt sich auf eine Diskussion ein und argumentiert mit Evidenz. «Wenn mir jemand vorwirft, ein Bild sei fake – das ist noch nicht oft vorgekommen – dann versuche ich, das richtig zu stellen, in dem ich ganz klar die Quelle aufzeige.»
Selbstoffenbarung: lieber live als virtuell
Mittlerweile referiert Alex Kühni durchschnittlich einmal pro Woche zu seinem Beruf und seinen Erfahrungen. Auch wenn es zunächst Überwindung brauchte, sich als Person in den Fokus zu rücken – der Geltungsdrang auf X oder Instagram ist ihm eigentlich zuwider. Wenn schon selbst offenbaren, dann lieber im direkten Kontakt mit den Menschen und nicht via Social Media. «Es ist ein wichtiger Teil des Journalismus. Ich nehme den Filter der Zeitung raus, zwischen mir und der Person, die sich für das Thema interessiert. Ich erreiche die Menschen so ganz anders, viel nachhaltiger.»
Schliesslich berichtet er von Menschen, die sich in kaum vorstellbaren Situationen befinden. «Natürlich kann ich davon berichten, wie es ist, im Krieg zu sein oder von den Russen beschossen zu werden. Aber was heisst das für die Menschen, die ich dokumentiere? Ich komme für eine Woche, mit der besten Schutzweste und Helm und gehe wieder zurück in die sichere Schweiz. Mit diesen Themen will ich sorgfältig umgehen. Spielt es da wirklich eine Rolle, wer dahinter steckt? Lieber lasse ich meine Inhalte für mich sprechen.»
Steckbrief
Alex Kühni, 41
Freischaffender Fotojournalist seit 2013
Instagram seit 2011
Twitter/X, als reiner Konsument, seit 2017
Telegram und Reddit, als reiner Konsument, seit 2020