Grosse Marken hätten Facebook am liebsten ohne Pinnwand: Eine neue Studie analysiert die Auftritte der 50 grössten Weltmarken. Unternehmen von BMW bis Zara erhalten schlechte Noten, was ihre Dialogbereitschaft anbelangt.
Die US-amerikanische Unternehmensberatung A.T. Kearney hat die Facebook-Seiten der 50 weltweit führenden Marken besucht, gemäss Interbrand Brand Report 2010; 45 davon hatten eine eindeutige Präsenz. Publiziert wurde die Untersuchung im Januar, die Seitenbesuche erfolgten in zwei Wellen im November und Dezember 2010. In der Zwischenzeit haben einzelne Marken ihre Pinnwand-Einstellungen geändert; den allgemeinen Zustand erfasst die Studie trotzdem treffend.
Facebook als Plakatwand
Die interessanteste Erkenntnis vorweg: Die analysierten Top-Marken gehören Grossunternehmen, die sich mehrheitlich nicht wirklich für einen Austausch interessieren. Disney, Gucci, McDonald’s, Louis Vuitton, American Express und Sony liessen Ende 2010 in ihren Pinnwand-Einstellungen keine Konsumenten-Einträge zu. Schreiben kann hier nur das Unternehmen, die Besucher dürfen höchstens mal auf einen Unternehmenseintrag antworten. Zum Zeitpunkt der Analyse zeigte nur eine einzige Marke alle Pinnwand-Einträge von Unternehmen und Nutzern; alle anderen hatten sich für die gefilterte Version entschlossen, die Nutzer-Einträge ausblendet. Die Studie bringt die Ironie dieses Vorgehen auf den Punkt: «Weltklasse-Marken benutzen ihre offensichtlich hippen Facebook-Auftritte für traditionelle, bewährte, digital irrelevante Einweg-Kommunikation. Das Gespräch wird hinter einem digitalen Vorhang versteckt.»
89 Prozent ohne Antwort
Es kommt noch schlimmer: Die Auswertung der 1’115 Einträge mit 60’570 Antworten zeigt, dass 89 Prozent der Nutzer-Einträge unbeantwortet bleiben. Gucci zum Beispiel hat in drei Monaten keinen einzigen Eintrag beantwortet, nur gerade elf Marken beantworteten mehr als eine Nutzernotiz. Nur 15 Prozent der (wenigen) Antworten ermunterten das Gegenüber zum weiteren Gespräch, 17 Prozent brachten es fertig, den Nutzer mit Namen anzusprechen. Viel Lob, viel Spam Fazit: Facebook wird als Marketing-Einweg-Kanal genutzt, Gespräche werden möglichst verhindert und lieber gar nicht aufgenommen.
Wer die Krisensituationen auf Facebook-Wänden bei Nestlé oder Postfinance erlebt hat, mag dieses Verhalten verstehen. Schliesslich sind auch 28 Prozent der analysierten Pinnwand-Einträge Spam, also müssen Unternehmen den Kanal erst recht dicht halten? Nein – zum Beispiel auch, weil 26 Prozent Lob enthalten, wie diese Gesamtauswertung zeigt:
Online-Dialog-Kontrolle
Die Situation erinnert an ein Blog-Projekt, das ich vor einigen Jahren begleiten durfte: Verwaltungsrat und Geschäftsleitung lobten den Projektleiter dafür, dass ganz wenige Kommentare eingegangen waren. Dasselbe Ziel setzen sich schreckhafte CEOs und Mediensprecher für Facebook: Bitte ganz viel Marketing und Promotion, bloss keine Gespräche. So verteidigte kürzlich eine Unternehmensleitung das Nicht-Beantworten von kritischen Facebook-Einwänden als den besten Weg, eine Krise zu überstehen.
Wer das Gespräch vermeidet, verzichtet besser
Auf die Gefahr hin, dass ich als romantischer Social-Media-Guru tituliert werde: Wer auf dieser Plattform nur Promotion machen will, lässt es besser bleiben. Ja, die Fans lieben Sonderangebote – aber bitte nicht gleich verschwinden, wenn es mal ruppig zu und her geht. Einen Facebook-Auftritt gestalten heisst, eine neue Gesprächsform zu erlernen. Man muss – wie bei jedem Social Media Engagement – bereit sein,
– Fragen zu stellen
– Fragen schnell zu beantworten
– sich Kritiken zu stellen
– Spam von der Pinnwand wegzulöschen
Das alles bedingt Ressourcen. Und die Möglichkeit, in Krisensituationen schnell zusätzliche Personen abzurufen fürs Monitoring, Antworten, Ausdehnen der Servicezeiten. Wer das Gespräch nicht aufnimmt, hat Facebook nicht richtig verstanden. Und ist damit auch nicht wirklich fit für mehr Kundennähe im Netz, ganz generell. Weiterführend:
WikiLeaks/PostFinance: 7 Tipps für Krisen-Dialoge
Der Sinn einer Facebook-Seite (Annette Schwindt)
Das Cluetrain-Manifest
Das Kompliment muss ich einfach loswerden. Eine tolle Überschrift „Kunde droht mit Dialog“. Herrlich… Kontrollverlust. Worst Case eines jeden Unternehmens (denn sie wissen nicht wie es geht). Ein gelungener Artikel.
ich hab ein anderes problem wo bleibt das spiel sultan bubble,es ist seit 3 tagen verschwunden.bitte um antwort.
Hallo Bernd – da müsstest du wohl eher Facebook fragen. Hier wird schon heftig diskutiert und gefragt: http://www.facebook.com/help/community/question/?id=2045971