Gestern erhielt Jimmy Wales den Gottlieb Duttweiler Preis. Der sympathische Preisempfänger freut sich, dass er die 100’000 Franken für die Eröffnung des ersten Büros ausserhalb der USA einsetzen kann. Am Abend selbst fragt man sich: Wer feiert wen?
Feiert das Gottlieb Duttweiler Institut Jimmy Wales? Oder feiert sich die Migros mit ihrem Institut und dem Preisträger selbst? Wie es sich für solche Rituale gehört, feiern sich alle ein wenig – Roger de Weck mit seiner Laudatio, Claude Hauser und Gisèle Girgis vom Migros Genossenschaftsbund mit ihren Ansprachen, die geladenen Gäste mit ihrer Anwesenheit.
Die Vision wird lebendig
Leben in den Abend bringt der Empfänger des Preises selbst. Er bemüht keine Vorbilder von Gottlieb Duttweiler bis Diderot, sondern taucht gleich ein in seine Vision: «Eine Welt, in der jede Person auf diesem Planeten freien und kostenlosen Zugang hat zur Gesamtheit des menschlichen Wissens.» Was beim reinen Lesen oberflächlich wirkt, erhält durch Wales‘ Worte authentischen Gehalt. Mein Eindruck von gestern abend: Da steht einer, der alles daran setzt, diese Vision durch Taten lebendig zu halten.
Die nächste Herausforderung: Neue Gebiete
Seine frische, schnelle Rede ist gespickt mit Geschichten aus den 250 Tagen, die er jährlich rund um den Globus reist. Da ist der südafrikanische Student, der CDs von Wikipedia brennt und sie an Orte bringt, wo der Internet-Zugriff nicht vorhanden ist. Oder der Inder, der dank Wikipedia den Uni-Abschluss geschafft hat, fernab von der Infrastruktur einer Metropole.
In Indien liegt für Jimmy Wales die nächste Herausforderung, dort soll auch das erste Wikipedia-Büro ausserhalb der Vereinigten Staaten entstehen. Damit noch mehr Einträge in Hindi, Telegu, Marathi, Tamil und Bengali entstehen. In den nächsten fünf bis zehn Jahren soll die dritte Milliarde den Weg ins Internet finden (AFP-Meldung zur zweiten Milliarde); der Grossteil von ihnen in Indien, China, Afrika und Südamerika. Die Herausforderung der nächsten Jahre sieht der Wikipedia-Gründer in der weiteren Sprachlokalisierung, dem schnellen Zugang und der Bekanntmachung von Wikipedia in diesen neuen Regionen.
Authentische Zurückhaltung
Jimmy Wales feiert sich nicht selbst – er bleibt auch als Mittelpunkt dieses Preisverleihungs-Rituals bescheiden, engagiert, authentisch. Und er denkt daran, am Schluss seiner Rede den Dank weiter zu geben an die vielen engagierten «Wikipedianer», die den Erfolg seiner Vision überhaupt erst möglich machen.
Fünf Tipps für Wikipedia-Einträge
Tages-Anzeiger Interview mit Jimmy Wales
Sitznachbar Peter Habers Beitrag zum Abend