Blaulichtorganisationen: Welchen Einfluss haben Leserreporter?

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Leserreporter hier, Leserreporter da. Sie scheinen insbesondere für digitale Medien ein vorbehaltsloser Segen zu sein und sind das auffälligste und vielleicht auch lästigste Ergebnis des partizipativen Ansatzes. Rund um die Uhr und erschreckend schnell liefern sie mehr oder weniger gehaltvolle Inhalte. Welchen Einfluss haben Leserreporter auf die Medienarbeit von Blaulichtorganisationen?

Danke an Gastblogger Roland Portmann. Er ist Leiter Kommunikation und Mediensprecher bei Schutz & Rettung Zürich und untersuchte das Thema im Rahmen seiner Masterarbeit an der HWZ (Details am Schluss des Beitrags). 

Leserreporter sind kein neues Phänomen: Seit der Lancierung der ersten Smartphones im Jahr 2007 explodierte dieses Genre förmlich. Medienhäuser buhlen seither um die Gunst dieser «kostenlosen Laienredaktoren» und bauen Angebote und monetären Anreize aus. Es scheint sich bei einigen Medien eine Art partizipative Euphorie breit zu machen. Leider auch eine ziemlich Unkritische.

Die Auswirkungen: Irgendwo zwischen spannend, belanglos und lästig

Eines vorweg: Die Auswirkungen von Leserreportern tun den Kommunikatoren von Blaulichtorganisationen wie Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst nicht grundsätzlich weh. Insbesondere drei Auswirkungen sind erkennbar:

Verstärkung des Zeitdruckes auf die Kommunikatoren
– Erhöhte Reaktionsgeschwindigkeit der Kommunikatoren erforderlich
– Tempo der Berichterstattung und von ihrer Verbreitung nimmt weiter zu

Medialisierung von Ereignissen mit fraglichem öffentlichem Interesse
– Schaffung eines scheinöffentlichen Interesses
– Verschiebung des Nachrichtenwertes
– Herabsetzung der Medialsierungsschwelle

Schaffung von mehr Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit
– ständig unter öffentlicher Beobachtung
– korrektes Arbeiten der Einsatzkräfte

Allem voran die Geschwindigkeit, mit der Antworten geliefert werden müssen, hat sich deutlich erhöht. Dies ist nicht per se tragisch. Oft entsteht aber im Zusammenhang mit Leserreportern eine Art kommunikativer Handlungszwang seitens der Blaulichtorganisationen. Dies kann die Kommunikationstaktik, beispielsweise bei einem festgelegten Informationsrhythmus, empfindlich stören.

Eine weitere gut spürbare Auswirkung ist die rasche Medialisierung von Ereignissen mit fraglichem öffentlichen Interesse. Ein Kollege formuliert:

«Es wird ein scheinöffentliches Interesse geschaffen. Es ist so mein Gefühl, es wird alles diesen Bildern untergeordnet.»

Das eingesandte Bildmaterial dient als regelrechter Medialisierungstreiber. Nicht selten bleibt eine saubere Verifizierung des Bildinhaltes dabei auf der Strecke; Klicks zu generieren scheint eine weitaus wichtigere Rolle zu spielen. Betrachtet man zusätzlich die eingebetteten Twitter-Meldungen, nimmt diese Thematik noch groteskere Formen an.

Sorgloser Umgang einiger Medien

Manche Chefredaktoren hinterfragen zwar ihre Rolle kritisch und weisen auf ihre Verantwortung hin, nicht einfach «jeden eingesandten Mist» zu publizieren. So sagte der Chefredaktor eines bekannten Tagestitels, nach Erhalt eines Leserbildes einer Bahnleiche:

„Da fragt man sich schon, weshalb fotografiert einer das. Oder welchen Anteil hast Du eigentlich am Umstand, dass die Leute die Kamera hervornehmen in solchen Situationen“.

Paradox: Auch dieses Medium baut die Angebote und monetären Anreize für Leserreporter massiv aus. Erstaunlich ist auch, dass wenig Medienhäuser konzeptionell aufgestellt sind, mit ein paar einfachen Prozessen für den Umgang mit digitalen Leser-Einsendungen. Geschichten, die gar keine sind, Medialisieren von Belanglosigkeiten (Hauptsache, man hat ein Leserbild), Falschmeldungen und andere Fehltritte sind die Folge und beschleunigen die Vertrauenskrise in die Medien.

Fazit: Kein akuter Handlungsbedarf (mindestens auf einer Seite)

Leserreporter können lästig sein, tun den Medienstellen von Blaulichtorganisationen aber nicht grundsätzlich weh. Dies liegt mitunter daran, dass es die Kommunikatoren von Blaulichtorganisationen gewohnt sind, in einem hohen Tempo und häufig auch ohne Vorbereitungszeit zu (re)agieren. Auf der anderen Seite täten jedoch gewisse Medienhäuser gut daran, sich ihrer Rolle rund um Leserreporter stärker bewusst zu sein und sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. So oder so: Die Kommunikationsabteilungen werden mit Leserreportern leben müssen. Und es werden künftig noch viele weitere Instrumente und Kanäle im Bereich von User Generated Content hinzukommen, welche die Arbeit der Kommunikatoren beeinflussen werden. Das ganze Gefüge ist noch nicht fertig. 

Grundlage für diesen Beitrag bildet die Masterarbeit «Die Auswirkungen von nutzergenerierten Inhalten auf die Unternehmenskommunikation von Blaulichtorganisationen» von Roland Portmann, welche er im Mai 2015 für das MAS Business Communications an der HWZ erstellt hat. Für den empirischen Teil hat der Autor mehrere Interviews mit Kommunikationsprofis und Medienverantwortlichen von verschiedenen Schweizer Blaulichtorganisationen geführt. Ergänzend hat er Expertengespräche mit Chefredaktoren und Redaktionsleitern von relevanten Medien durchgeführt. Die Masterarbeit ist einsehbar unter http://issuu.com/rolandportmann/docs/masterarbeit_rolandportmann_hwz2015

Weiterführend
Drei gute Gründe gegen Leserreporter
Gastblogs im bernetblog.ch 

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