Frontbericht: 7 Fragen an Kurt Pelda, Kriegsreporter

"Das erste Opfer des Kriegs ist die Wahrheit", lautet ein bekanntes Bonmot. Im Ukrainekrieg tobt neben dem Schlachtfeld ein heftiger Informationskrieg. Einzelne Medienschaffende setzen sich grosser Gefahr aus, um Informationen von der Front einzuordnen. Eine fundamental wichtige, aber schwer zumutbare Aufgabe. Kurt Pelda, der bekannte Schweizer Kriegsreporter, liefert uns Kritik, Einsichten und Tipps von der realen Kriegsfront und aus dem Informationskrieg.
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Einer der wenigen Schweizer Journalisten, die direkt aus dem Ukrainekrieg berichten, ist Kurt Pelda. Er ist derzeit in der Region um Kiew tätig. Wir hatten die Gelegenheit, ihm für den bernetblog sieben Fragen zu stellen.

Kurt Pelda, Sie kommen aus Kharkiv und sind aktuell in Kiew. Wie ist die Lage?

Kiew ist viel ruhiger als Kharkiv, und die Versorgungslage ist wesentlich besser. Weil die Hauptstadt eine funktionierende Luftverteidigung hat, sind Fliegerangriffe viel seltener. Entgegen dem, was viele Medien in Westeuropa suggerieren, ist Kiew nicht unmittelbar von einer Abschnürung oder Einkesselung bedroht. Die Kämpfe finden ausserhalb des Stadtgebiets, vor allem im Nordwesten und Osten, statt. Gelegentlich werden aber Wohnquartiere von russischen Raketen und Granaten getroffen, vor allem am Stadtrand.

Vor zwei Wochen wurde der Genfer Journalist Guillaume Briquet von russischen Einheiten beschossen, bedroht und ausgeraubt. Wie ist die Situation in der Ukraine aktuell für Kriegsreporter?

Ich gehe inzwischen davon aus, dass russische Truppen gezielt gegen ausländische Journalisten vorgehen. Allein in den letzten Tagen wurden ein paar Kilometer nordwestlich von Kiew mindestens vier ausländische und einheimische Journalisten mutmasslich von Russen getötet. Ich rate hier jedem Kriegsberichterstatter, bei Frontbesuchen kein Presseschild zu tragen und Autos nicht mit Presseklebern zu kennzeichnen.

Wie erleben ukrainische Journalistenkollegen und Medienhäuser die aktuelle Situation?

Sie staunen vor allem über die nach wie vor naive Haltung der Westeuropäer gegenüber Russland und den defaitistischen Meinungen, die manche westlichen Medien weiterhin verbreiten. Also etwa so: Wir können gar nicht verstehen, warum sich die Ukrainer überhaupt noch wehren, es würde doch viel Blut und Leid sparen, wenn sie sich einfach ergäben. Diese unreflektierte Haltung gegenüber Krieg sowie dem Wert von Demokratie und Freiheit gepaart mit der absurden Überschätzung der militärischen Fähigkeiten Russlands hat massgeblich dazu beigetragen, dass Putin diesen Krieg überhaupt angefangen hat. Hiesige Journalisten, die den Krieg jeden Tag hautnah erleben, haben dafür überhaupt kein Verständnis.

Twitter ist global schon länger Erstpublikationsmedium für Aktualitäten. Im russischsprachigen Raum sind aber auch Netzwerke wie vk.com bedeutend. Welche Rolle spielen Social Media im aktuellen Kontext?

Soziale Medien haben eine überragende Bedeutung. Telegram ist in der Ukraine um einiges wichtiger als Twitter.

Als Kriegsreporter ist das Kuratieren und die Einordnung von Informationen besonders herausfordernd. Wie gehen Sie mit Osint (Open Source Intelligence) um?

Ich bin ein grosser Fan von Osint-Recherchen. Weil ich aber einiger der ganz wenigen Ausländer hier bin, sehe ich meine Hauptaufgabe darin, mir alles hier mit offenen Augen und Ohren anzusehen. Natürlich berücksichtige ich dabei, was ich in den sozialen Medien sehe. Das eigene Auge ist gegenüber Propaganda und Fake News widerstandsfähiger und zudem unbestechlich. Schlussfolgerungen, die ich aus selbst Erlebtem ziehe, sind viel zuverlässiger als das meiste, was in den sozialen Medien herumgeboten wird. Analysen, die sich ausschliesslich auf soziale Medien stützen, liegen häufig total neben der Realität, wie die letzten drei Wochen eindrücklich belegt haben.

Wie erleben Sie den Informationskrieg als Journalist? Welche Instrumente gibt es, um Fake News und Propaganda aufzudecken?

Der Informationskrieg ist heiss. Wer nicht im Mainstream mitschwimmt, wird oft hart angegriffen auf Twitter, der Blase der Journalisten, die nicht den Mut haben, hierher zu kommen, den wenigen unabhängigen Kriegsberichterstattern hier aber ihre angeblichen Fehler vorhalten. Das beste Mittel gegen Fake News ist Erfahrung in Kriegsgebieten und gesunder Menschenverstand. Und natürlich gibt es wirksame Osint-Methoden, um Falschinfos und Propaganda als solche zu entlarven.

Haben Sie ein paar Linkperlen zu Accounts und Plattformen, die Fact-Checks anbieten oder Fake News entlarven?

Auf Twitter zum Beispiel @evapunkt und @henkvaness. Bei letzterem sieht man besonders gut, welche schwierige Rechercheprobleme sich da manchmal auftürmen.

Vielen Dank für Ihre Zeit und Antworten!

 

Vor dem Denkmal der Völkerfreundschaft zwischen den "Brudervölkern" Russlands und der Ukraine am Dnjepr in Kiew. Für diesen Bogen braucht es nun wohl einen neuen Namen.
Explosionskrater vor einem Schulhaus in Wassylkiw, südwestlich von Kiew.
Synagoge in Kiew. Hier gibt es immer noch Gottesdienste.
Pelda vor zerbombtem Wohnhaus in Wassylkiw

 

Zur Person:
Kurt Pelda auf Twitter.

1984 berichtete Kurt Pelda erstmals aus einem Kriegsgebiet in Afghanistan. Er studierte Wirtschaft an der Universität Basel und wurde 1998 promoviert. Nach dem Studium arbeitete er als Wirtschaftsredaktor und Afrika- und Südostasienkorrespondent, unter anderem 1999 bis 2001 für die Financial Times Deutschland in New York und  2002 bis 2010 für die  Neue Zürcher Zeitung (NZZ). Seit 2010 arbeitet er als freischaffender Journalist mit Fokus Nordaftika und Naher Osten. Er hat bislang aus 17 Kriegsgebieten berichtet. Seine Berichterstattungen und Artikel erschienen in verschiedenen Medien, hauptsächlich in der Weltwoche. Ab Februar 2017 hatte er seine Haupttätigkeit beim Tages-Anzeiger im Rechercheressort, daneben arbeitete er weiter als freier Journalist die Rundschau (SRF) und für internationale Medien. Seit Februar 2022 arbeitet er wieder bei der Weltwoche.

Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Pelda

Bilder ©Kurt Pelda

 

 

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