Goodbye 12K Follower: Graubünden Ferien hat keinen Bock mehr auf X

Warum verlässt eine der berühmtesten Tourismusorganisationen der Schweiz Twitter/X? Trotz über 12'000 Followern. Was das mit dem Wandel von Social Media, mit Reichweite und Community-Interaktion und auch mit Elon Musk zu tun hat, verrät Social Media Managerin Thalia Wünsche im Inteview mit dem bernet.blog.
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„A revair, tschüss, ciao“. So verabschiedet sich gestern Graubünden Tourismus nach 13 Jahren auf Twitter/X. Thalia, was hat euch dazu bewogen?

Wir wollen per Social Media Menschen inspirieren, Graubünden zu besuchen. Gleichzeitig versuchen wir mit humorvollem Content zu unterhalten und Sympathien für unsere Region zu gewinnen. Beides gelingt uns auf anderen Plattformen schlicht besser, da die Reichweite unserer Posts höher ist und mehr Interaktion mit der Community stattfindet. Als Organisation muss man sich immer gut überlegen, wie man seine Ressourcen am gewinnbringendsten einsetzt. Gerade im Social-Media-Bereich ist dies herausfordernd, da laufend neue Plattformen dazu kommen.

Bei X ist Reichweite erkaufen nun Geschäftsmodell. Ist es weniger attraktiv geworden?

Wenn eine Plattform monetarisiert wird, bricht die organische Reichweite ein. So war das auch bei Meta. Wir haben eine zeitlang den Blauen Haken auf X getestet und auch einzelne Tweets beworben. Die Resultate waren für uns nicht zufriedenstellend und Aufwand und Ertrag standen in keinem guten Verhältnis.

Ihr habt mit der Vermarktung der Tourismusregion Graubünden in den letzten Jahren mehrere virale Kampagnen gefahren. Wird euch X nicht fehlen, um beispielsweise bei Medienschaffenden rasch Aufmerksamkeit zu erhalten?

Gerade in der Medienarbeit geht für uns nichts über persönliche Kontakte. Zudem folgen uns interessierte Journalist*innen auch auf unseren anderen Plattformen. So haben wir es dieses Jahr beispielsweise mit einem provokativen Halloween-Post auf Instagram ohne grosse Kampagne in die Medien geschafft.

Über die Jahre habt ihr euch einen Kanal mit einer grossen Gefolgschaft von 12.2 K Follower aufgebaut. Diese Community ist nun weg für euch. Wer war das?

Gerade das macht den Entscheid, einen Social-Media-Kanal nicht mehr weiterzuführen, so schwierig: die über Jahre aufgebaute Community, die man zu einem grossen Teil verliert. Auf X war das eine gute Mischung aus Graubünden-Fans, Personen und Organisationen aus der Tourismusbranche, Bündner*innen und Medienschaffende. Wir hoffen, dass einige unserer Follower*innen auf X, die unseren Weggang bedauern, sich nun entscheiden, uns auf einem unserer anderen Social-Media-Kanäle zu folgen.

Seit Elon Musk gibt es auf X viel mehr Trolle, extremistische Inhalte und Musk selber trägt zu einer Untergangsstimmung bei. Ist die Plattform-Policy für euch reputationsrelevant?

Es ist für uns als Organisation natürlich relevant, mit welchen anderen Organisationen man uns in Verbindung bringt. Der Grund, wieso wir uns entschieden haben, unseren Kanal nicht weiterzuführen lag aber primär an der Reichweite, die in den letzten Jahren stark eingebrochen ist und dem geringen Interesse unserer Community an Interaktion.

Spielte in dem Fall kein Elon Musk-Effekt rein?

Doch, schon auch. Wir beobachten natürlich auch, wie andere Organisationen aus der Tourismusbranche sich verhalten. Wer hat aufgehört? Wer runtergeschraubt? Die Gesamtentwicklung von X hat für unseren Entscheid eine Rolle gespielt. Der Umgangston auf X ist zudem rauer geworden ist. Wir mussten bei unserem Abschiedstweet erstmals Kommentare verbergen, obwohl wir sehr viel zulassen. Aber irgendwo ist die Grenze bei Beleidigungen erreicht. Das lassen wir auf unserem Kanal so nicht stattfinden! Auch auf anderen Plattformen nicht.

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Einige User reagierten enttäuscht über euren Entscheid, X zu verlassen. Manche finden die Beweggründe ‚woke‘, andere sind nicht auf anderen Plattformen aktiv. Was sagt ihr dazu?

Die grosse Resonanz, die unser Abschiedstweet ausgelöst hat, hat uns überrascht. Er hat schon jetzt mehr Reichweite und Kommentare, als alle anderen Tweets dieses Jahres. Leider ist der Austausch auch hier nicht nur respektvoll. Es gab vereinzelte Kommentare, die so beleidigend waren, dass wir sie ausblenden mussten.

Hat sich das über die Jahre verschlimmert?

Nun, als  Tourismusorganisation kommunizieren wir zu 90% schöne, unkritische Themen mit wenig Angriffsfläche. Dann gibt es Momente, wo die Diskussion reger ist und auch der Ton härter werden kann. Wir haben über die Jahre dazugelernt und ein intensives Community Management aufgezogen. Bei verbalen Entgleisungen handeln wir sehr konsequent. Wir haben eine Netiquette und Uneinsichtige werden nach spätestens 3 Verwarnungen blockiert. Ich finde, der Umgangston ist in den letzten Jahren insbesondere auf Twitter/X rauer geworden. Auf unseren Abschiedspost haben wir mehrere ‚F**“ euch‘-Kommentare gekriegt. Das hängt wohl auch mit dem gestrigen zeitlichen Zusammentreffen mit Elon Musks ‚Go F*** Yourself‘-Ausfall gegenüber Werbeschaltenden zusammen.

Auf welchen Socials liegt für Graubünden Ferien das Entwicklungspotenzial der nächsten Jahre?

Aktuell sehen wir ein sehr grosses Potenzial in LinkedIn. Seit letztem Jahr bewirtschaften wir diesen Kanal intensiv und sind sehr erfreut, wie er sich entwickelt. Wenn es darum geht, eine junge Zielgruppe, die Gäste von Morgen zu erreichen, ist TikTok matchentscheidend. Auf beiden Plattformen nimmt die Anzahl Nutzer noch stark zu. Die Vergangenheit hat uns aber gelehrt, dass der Social-Media-Bereich sehr schnelllebig ist. Vielleicht taucht schon morgen ein neues soziales Netzwerk auf, in dem in einem Jahr keinen Weg mehr dran vorbeiführt.

BlueSky, ist das aus eurer Sicht zukunftsträchtig?

Um das zu beantworten, müssen wir uns noch vertiefter mit der Plattform auseinandersetzen. Wir prüfen bei Graubünden Ferien alle neuen sozialen Netzwerke, die aufkommen, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können, ob wir dort einen Kanal führen wollen oder nicht. Die sozialen Medien machen dann am meisten Spass, wenn es einen regen Austausch mit der Community gibt. Das hat uns auf X gefehlt. Ich freue mich deshalb darauf, meine Zeit und Energie in unsere anderen Social-Media-Kanäle zu investieren, auf denen das anders ist. Wir werden sehen, ob BlueSky dem gerecht werden kann.

Liebe Thalia, vielen Dank für deine Zeit und Antworten!

 

Zur Person:

Thalia Wünsche ist seit 2021 als Co-Leiterin des Content Rooms mitverantwortlich für Strategie und Inhalte der Social-Media-Kanäle, die Graubünden Ferien führt. Dazu zählen u. a. Instagram, Facebook, TikTok, LinkedIn und YouTube. Den X-/Twitter-Kanal der Tourismusorganisation hat sie die letzten fünf Jahre geführt. Zudem arbeitet sie seit 2016 in der Erlebnis-PR bei Graubünden Ferien, organisiert Recherchereisen für Reisejournalist*innen und ist stellvertretende Mediensprecherin. Zuvor war sie bei den Schweizer Jugendherbergen und in einer PR-Agentur tätig.

Bilder ©Graubünden Ferien/Thalia Wünsche

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