Innert weniger Stunden war der heutige #smgzh ausgebucht. Selbst die Plätze in der Warteschlange waren begehrt: Das Interesse am Thema Künstliche Intelligenz ist gross. Am heutigen Social Media Gipfel in Zürich gaben zwei Experten Einblick in ihren Berufsalltag. Wie setzen sie KI aktuell ein? Wo bietet die Technologie Vorteile, wo liegen ihre Limitationen? Und nicht zuletzt: Welche Prognosen wagen die Experten?
Grundlagenarbeiten ja, komplexe Tätigkeiten nein
Marco Di Bernardo, Chief Technology & Product Officer (CTPO) bei 20 Minuten, nutzt auf der Redaktion bereits seit mehreren Jahren KI-Technologien. Derzeit würde man bei 20 Minuten jedoch noch keinen rein KI-generierten Content publizieren. Das Prüfen durch den Menschen sei ein Muss, die Offenlegung der eingesetzten KI-Tools gegenüber der Leserschaft Voraussetzung.
Marco ist überzeugt, dass das bisherige Anforderungsprofil an Redakteur:innen auch in Zukunft bestehen bleiben wird – eventuell mit neuen Schwerpunkten und Rollen. Denn mit der schieren Menge an KI-generierten Inhalten werde kein Medium mithalten können. Eine Differenzierung werde je länger je mehr durch Qualität, Relevanz und Glaubwürdigkeit definiert. KI sei eine hilfreiche Unterstützung bei repetitiven, verhältnismässig einfachen Arbeiten. Für die anschliessende Qualitätssicherung sei die menschliche Komponente jedoch unerlässlich. Vor allem im Hinblick auf die eigene Reputation und die rechtlichen Aspekte. Hier gilt also, Medienschaffende weiterhin in den Bereichen Medienkompetenz und Fact-Checking zu schulen.
Vier konkrete Beispiele aus dem Redaktionsalltag bei 20 Minuten:
1. Übersetzungen
Marco betont den äusserst schnellen Reifeprozess bei vollautomatischen Übersetzungsdiensten. Dieser erlaube es, dass Inhalte bei 20 Minuten heute in neun Sprachen verfügbar sind. Sämtliche durch KI erzeugte Inhalte seien von Beginn an als solche deklariert worden. Die Leserschaft müsse erkennen können, welche Inhalte nicht von Menschen erstellt wurden. Limitationen zeigen sich bei mangelndem Kontext. Bsp.: «Grosses Feuerwerk in Lachen» – wenn die KI nicht weiss, dass es sich bei Lachen um eine Ortschaft handelt, wird die Übersetzung wohl oder übel fehlerhaft ausfallen.
2. Die berühmt-berüchtigte Kommentarspalte
Gesteigerte Effizienz durch KI: Die Moderation der Kommentarspalte wird bei 20 Minuten heute bis zu 80 % von KI übernommen. Heisst: nur 20 % der Kommentare bewegen sich in einer Grauzone, die KI nicht richtig deuten kann. Hier braucht es die menschliche Perspektive, um eine richtige Einschätzung vorzunehmen.
3. Inhaltsanalyse
Bereits jetzt sind KI-Modelle – aufbauend auf ChatGPT – im Einsatz, um die Tonalität eines Artikels zu erfassen und einzuschätzen (positiv, negativ oder neutral). Da vieles noch fehlerhaft sei, befänden sich viele Applikationen erst noch in der Entwicklungsphase.
4. Content Creation
Seit einigen Wochen werden bei 20 Minuten mehrere Modelle getestet: Redakteur:innen und ChatGPT erstellen parallel Beiträge zum selben Thema. Bisher zeigt sich: Gerade wenn die Faktenlage dürftig ist, wird ChatGPT schnell sehr fantasievoll. Daher müssten Content Creators heute (noch?) keine Angst haben, dass sie von KI abgelöst würden. KI-generiertes Bildmaterial setze man bei 20 Minuten noch sehr defensiv ein. Man sei sich der Macht von Bildern bewusst und brauche zuerst eine Strategie für deren Einsatz.
«Der gesunde Maschinenverstand existiert noch nicht»
Im Berufsalltag von Kim Engels, CEO des MarTech Unternehmens Converto AG, wird Künstliche Intelligenz täglich eingesetzt – für Kundenarbeiten sowie für eigene Projekte. Bei der Unterstützung durch KI würden Kundinnen und Kunden immer offen informiert, die eingesetzten KI-Tools klar deklariert. Das sei die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Bei der Kundschaft sei eine grosse Offenheit und Neugier dem Thema gegenüber vorhanden, so Kim. Schliesslich hätte sie auch die Zusicherung, dass sämtliche Inhalte durch qualifizierte Mitarbeitende kontrolliert und überarbeitet würden. Denn der «gesunde Maschinenverstand» existiere noch nicht, die menschliche Komponente sei essenziell. Nicht zuletzt biete KI auch einen preislichen Vorteil für Kundinnen und Kunden. Durch die Zeitersparnis seitens Agentur seien auch die Kosten für gewisse Leistungen gesunken.
Kim nennt ebenfalls vier Bereiche, in denen seine Agentur KI einsetzt:
1. Textgenerierung
Bei der textlichen Contentgenerierung, etwa für Newsletter oder Social Media Posts, dient KI als hilfreiches Inspirationstool. Sie biete innerhalb von wenigen Minuten eine Vielzahl von möglichen Herangehensweisen, Ansätzen, Varianten und Strukturierungsoptionen. Diese Basis wird anschliessend von den Mitarbeitenden weiter bearbeitet.
2. 3D-Modelle
Wenige Bilder dienen der KI bereits als Grundlage zur Erstellung von grafischen Umsetzungen, etwa 3D-Modellen. Doch auch hier ist Vorsicht geboten: KI-Modelle sind auf Standard-Fälle trainiert. Wer also beispielsweise einen aussergewöhnlichen Schuh als 3D-Modell kreieren will, wird selber einiges korrigieren müssen.
3. Codierung
Auch technische Arbeiten können von KI unterstützt oder übernommen werden. Kim nennt ein Beispiel aus der Agentur: Mitarbeitende haben mit ChatGPT ein Chrome-Plugin kreiert, um automatisierte Screenshots auszulösen, sobald im Browser ein Ad eines Kunden erscheint. Jedoch: Die Codes waren von mangelhafter Qualität, die Fehleranfälligkeit sei nicht zu unterschätzen.
4. Analyse
Analyse, Statistik, Trenderkennung: hier kann KI wertvolle Hilfe bieten. Etwa wenn es darum geht, Social Ad-Kampagnen laufend zu optimieren. KI kann eine Vielzahl von Faktoren (bspw. Prognosen zum Wetter, Pollenflug, Pay Day, Entwicklung der Aktienmärkte, etc.) berücksichtigen, verarbeiten und entsprechende Handlungsempfehlungen aufzeigen.
Unser Fazit:
- KI als Inspirationsquelle nutzen: KI-Tools können uns hilfreiche Inputs geben und uns die Kick-off Phase erleichtern.
- Wertvoller Zeitgewinn: KI ermöglicht die Steigerung von Effizienz. Sie schafft es, die Basis für unsere weiterführende Arbeit in Windeseile zu generieren. Dies können wir uns zunutze machen und die gewonnene Zeit in zeitintensivere Tätigkeiten investieren: beispielsweise in Strategiearbeiten und Kundenberatung in der Agentur oder in die Tiefenrecherche in der Redaktion.
- Wir sind (noch) nicht obsolet: Sämtliche KI-kreierte Inhalte müssen derzeit noch durch kompetente Personen geprüft und adaptiert werden. Zu gross ist die Fehleranfälligkeit der aktuellen Modelle, zu gering die kreative Kraft. Noch kann nicht die gesamte Komplexität unserer Tätigkeiten übernommen werden. Für den Moment garantieren wir Menschen, dass Inhalte relevant und qualitativ überzeugend sind.
Die Kernaussagen der beiden Referenten, kurz und knapp in 4 Minuten, im Video von kameramann.ch.
Die Präsentationen zum Downloaden
Vielen Dank an die Migros für das Sponsoring von Kafi, Gipfeli und Infrastruktur. Und für das KI-generierte Sampling.
Danke auch an das tibits Bistro Zürich für die Gastfreundschaft.
Weiterführende Informationen:
- Bernetblog zum Thema Künstliche Intelligenz
- Der nächste Social Media Gipfel findet am 6. September in Bern statt. Save the date!